Lyon et les petits princes
Eine kleine Geschichte von Regen, Fluten, Flüchtlingen, Hooligans, Anschlagsgefährdung et des fous
Ich schick’s gleich mal voraus. Klar muss man einen an der Klatsche haben, wenn man nur wegen Rumänien gegen Albanien 2 Tage nach Lyon fährt. Samstags morgens um vier Uhr mit dem Zug über Basel nach Lyon. Fast durchgepennt – das lief schon mal entspannt. Am Bahnhof angekommen dann das erwartete Bild. Französisches Militär, getarnt als Ninja Hero Turtles, sichern Bahnhof und Umgebung. Per Metro geht’s aber unbehelligt gen einfaches Hotel in Fußnähe der Fanzone, die Mitten in der malerischen Innenstadt liegt. Allerdings habe ich dann meistens doch die Metro mit zwei Stationen statt einem Kilometer Fußmarsch bevorzugt. Gelaufen bin ich eh genug.
Erstmal in den nahegelegenen Supermarkt, Bierverkauf gab’s nämlich in Supermärkten nur bis 12 Uhr Mittag – nicht nur im Western eine kritische Zeit also. Danach gemächlich mit leichtem sight-seeing zu Fuß durch die Stadt, toll gelegen an Rhone und Saône. Auffällig übrigens die extrem hohen Wasserstände und Fließgeschwindigkeiten beider Gewässer. Die sich ankündigende deutsche Sinnflut ist offensichtlich auch an Lyon nicht spurlos vorbeigegangen, wobei man klar sagen muss, dass sich mein Wochenende durch oftmaligen leichtem Sonnenschein und gelegentlichem Nieselregen sehr entspann gestaltet hat. An der Fanzone angekommen dann schon ein schönes Bild. Neben wirklichen vielen Franzosen, die mit der ganzen Familie in die Fanzone strömten, waren viele, viele verschiedene Gruppen in Trikots anwesend. Manche der vielen verschiedenen Trikots konnte ich zunächst nicht zuordnen. Die Sicherheitskontrollen an und um die Fanzone waren natürlich sehr hoch – aber echt entspannt. Überhaupt hat sich die Polizei auffällig und angenehm gezeigt und ist mit den Fans, zumindest was ich wahrnehmen durfte, sehr entspannt umgegangen.
In der Fanzone in Lyon dominierten nicht nur auf dem Bildschirm die Belgier, auch bei den Fans sah man einige den deutlich erspielten Sieg feiernden Belgier, aber nur vereinzelt Iren. Soso, Belgien meldete sich also zurück im Turnier. Auf den Schock erst mal ein Bier – der nächste Schock. Bier für 6 EUR in der Fanzone – wie sich später herausstellen sollte keine Seltenheit für ein Pint. Dazu, auch das nicht ungewöhnlich, ein Snack für 6 EUR. Mein lieber Schwan. Lyon sollte sich als kulinarisch wertvoll, aber von den Preisen als durchaus konkurrenzfähig zu Paris herausstellen. Leg.
Nach dem lockren Aufgalopp dann in die engen Gassen der Altstadt. Dort sollte mich dann schon das erwarten, was mich das ganze Wochenende begeistern sollte. Wie schon in Deutschland, Österreich und Ukraine gesehen, auch in Lyon Fans aus ALLEN Herren Länder. Geil. Beim lockeren schlendern durch die engen Gassen, den ersten Live-Kontakt mit Will Grigg gemacht. Den Fangesängen folgend sollte ich an den Platz kommen, den ich im Verlauf des Abend nur noch zum Nachhauseweg verlassen sollte.
Auf dem Platz angekommen, ein geiles Bild. Neben der größten gleich erkennbaren Gruppe der viieeelen, vielen Nordir(r)en, waren ua Belgische, Französische, Irische, Tschechische und Slowakische Fans neben manchem Vereinstrikots zu sehen. Nur kurz dort angekommen, kam ich auch schon mit einem Lyoner ins Gespräch. Zwar klein, aber keine Wurst und vor allem suuuuper nett. Er genießt die tolle Zeit mit seinen Kumpels, um mit den Gästen zu feiern. Bemerkenswert übrigens das Englisch aller jungen Franzosen, die ich traf. Während in meiner Schulzeit in Frankreich nach meiner Erfahrung noch leidlich englisch gesprochen wurde, zeigte man sich nun nicht nur beim Feiern international. Und man kannte auch „Die Mannschaft“ – tatsächlich ein geläufiger Begriff bei allen Fans – im Detail und erläuterte mir die aktuellen Probleme und fragte mich ua, warum Müller nicht zentral spiele. Als wenn ich das wüsste!?!? Nun denn. Danach Kanadier aus Ottawa kennengelernt. Die sind einfach mal schnell nach Frankreich geflogen, weil sie gerne Fußball sehen. Waaahnsin. Nur Irre hier. Apropos. In der Zeit betrat eine Gruppe schwarz Gekleideter den Platz. Schon nach kurzer Zeit stand einer dieser Unsympathen Nas an Nas mit einem feiernden Fan. Kurzes Palaver – erstmal nix passiert. Mein kleiner französischer Freund wurde etwas nervös. Er meinte, dass es sich wohl um französische Hools handle, deren Herkunft er nicht einordnen konnte. Er schickte einen Freund los, um Ninja Turtles aus der Nähe zu informieren. Eine Maßnahme, die sich als erfolgreich herausstellen sollte. Unsere gepanzerten Freunde kamen schnell, hielten sich aber wohltuend im Hintergrund und sorgten dafür, dass der schwarze Block friedlich blieb und wir mehrmals unter anderem Will Grigg und dem Jahr 1664 huldigten. Ein wunderbarer Abend in den Gassen Lyons.
Am nächsten Tag war bis zum Spiel um 21 Uhr keine Partie, also ab in die Innenstadt erst mal gen Markt. Zunächst erst mal gespannt was mich heute erwartet in der Stadt. Vorweg, die Erwartungen an diesem Morgen wurden weit übertroffen. Die Albaner, alle in rot, hatten die Stadt über Nacht eingenommen. Tausende machten die Stadt und die Straßen per Autokorso unsicher – aber sehr positiv. Man sah es in den Augen und im Verhalten der Albaner. Trotz der ersten beiden Niederlagen - man war und ist einfach froh und stolz, bei der EM dabei zu sein. Überhaupt sind es eben diese, meine kleine Prinzen, die bisher das Turnier prägen. Nicht nur auf dem Platz zeigen die Fußballzwerge aus Ungarn, Nordirland, Albanien, Wales, Slowakei, Nordirland, Irland und Island beachtenswerte Leistungen. Vor allem auf den Rängen und in den Straßen gaben die Neulinge und Überraschungsteilnehmer Vollgas und entwickeln sich zum Glücksfall für’s Turnier. Auf der Suche nach dem Fußballkönig Europas war ich schon etwas skeptisch, ob die Aufstockung auf mehr Teams eine gute Idee und nicht nur aus finanziellen Gründen von Platini durchgezogen wurde. Warum auch immer, die Teams und vor allem Fans sind eine absolute Bereicherung für’s Turnier. Daher küre ich sie hiermit zu den petits princes. Chapeau!
Zurück zum Markt. Zur französischen Lebensqualität gehört natürlich der kulinarische Genuss. Wo man hinsah Leckereien. Oliven, Austern, Wurst und Käse, frische Nüsse, französische Edeltropfen, frischer Fisch – ein Augenschmaus nach dem anderen. Ich hab ein bisschen was probiert und mitgenommen – sau lecker. So gestärkt zur obligatorischen Hop-on-hop-off-Bustour. Bisschen Kultur muss sein! Danach mit Eintracht-Trikot gen Stadion. Solltet ihr mal Lust auf so ne Irren-Tour haben ein klarer Tipp – OUTET euch. Egal ob mit Vereins- oder Deutschlandtrikot, man wird angesprochen und führt nette Gespräche. Mehrmals wurde mir „Eintracht Frankfurt, ALLEZ!“ hinter gesungen. Ein Albaner aus Aschaffenburg hat mich angesprochen. Man kommt ins Gespräch – mit Hamburgern, Gladbachern und Nürnbergern auf EM-Tour. Super. In diesen Gesprächen hört man Geschichten von den Ausschreitungen in St. Etienne, den Sangeskünster der Nordiren im Stadion (Gänsehaut), den Zeltplätzen in Marseille und den Zugverbindungen nach Paris. Es sind echt mehr Verrückte unterwegs, als man denkt. Und über das Outen kommt an ins Gespräch.
Das Spiel Albanien gegen Rumänien ist schnell zusammengefasst. In einem abwechslungsreichen Kampfspiel schaffte Albanien historisches und erkämpfte sich verdient den ersten EM-Sieg. Die Fans hatten mit Ihrem bedingungslosen Support einen gehörigen Anteil und kündeten noch stundenlangem nach Mitternacht per Autokorso von der Heldentat. Auf der späten Heimfahrt per Metro kam es aber dann doch noch zur kuriosen Begegnung der amtierenden Könige mit den kleinen Prinzen. Ich war mit vielen feiernden Albanern im Abteil, als an irgend einer Station 8 deutsche das Abteil in Reih und Glied betraten und dabei alkoholgeschwängert „Hier fliegen gleich, die Löcher aus dem Käse und nun geht sie los, ….“ schmetterten und dabei durch Abteil tanzten. Als sie uns direkt an der nächsten Station so schnell wie sie gekommen waren wieder verließen, hinterließen sie plötzlich ruhige Albaner mit offenen Mündern. Ein Blick für die Götter

Tja, unsere Nachwuchsfans mögen bei dieser EM begeistern, aber alles haben se noch nicht drauf – da ist noch Luft nach oben
Am nächsten Tag ging’s dann wieder per Zug nach Hause. Abgerundet wurde der Kurztrip mit einem langen Gespräch mit meinem Tischnachbarn, einem Neuseeländer, der erstmals in Europa war.
Mein Fazit der viel zu kurzen Tage: klar, man muss schon einen an der Schüssel haben. Aber ich sag euch, fahrt hin! Das lohnt sich. Selbst wenn man keine Karte für’s Spiel bekommt (obwohl die Karten vor Ort meist deutlich günstiger sind als im Netz) – schon das Drumherum ist eine Reise wert, wenn man sich auch ein bisschen für Städte, Länder und Menschen interessiert (gut, Interesse an Fußball kann auch nicht schaden)!
So, hab ich jetzt alles? Neeeee, zu den aktuellen Themen muss es ja immer noch einen Bezug auf die Flüchtlinge geben. Also, das erste Spiel der Deutschen hab ich mir beim Public Viewing in einer alten umgebauten Kulturscheune angesehen. Irgendwann kam eine Gruppe junger dunkelhäutiger Männer in den Raum, die auf den ersten Blick optisch an Kölner mit Tanzeinlage erinnerten. Sie hatten sich auf den zweiten Blick aber lustig mit Deutschland-Trikot, Bemalung, aufgesteckten Deutschlandhasenohren und Fahnen bewaffnet und verfolgten das Spiel aufmerksam und begeistert. Wirkte total authentisch, gar nicht aufgesetzt und war irgendwie anrührend. Eine schöne Einführung in den anstehenden internationalen Frankreichtrip.
PS Leider musste ich die ersten beiden angekündigten Spiel wegen einem wichtigen privaten (guten!) Termin canceln. Mal sehen, vielleicht …fou.