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Alt 10.11.2016, 08:25
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AW: Warum Plastikbälle?

Das Cellulosenitrat, welches bei der Produktion von Zelluloid eingesetzt wird, ist hochexplosiv und darf nur in explosionsgeschützten Räumen gelagert, oder direkt nach Anlieferung verarbeitet werden. Die Zelluloidbälle gelten in größeren Mengen (Containerlieferungen) als Gefahrgut und müssen entsprechend deklariert werden.

Im Zuge von REACH (Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals), eine 2007 in Kraft getretene neue Chemikalienverordnung, müssen alle Gefahrstoffe, die in die EU importiert werden, registriert werden. Und zwar entweder vom Hersteller oder vom Importeur. Bei einem Import Mengenband von 1 to - 100 to (auf Stoffbasis, nicht auf Artikelbasis) läuft die Registrierungspflicht dieser Stoffe 2018 ab. Ich nehme an, in diesem Mengenband bewegt sich das. Bis dahin muss also z.B. Cellulosenitrat offiziell registriert sein. Diese Registrierung kostet viel Zeit und Geld. In der Chemie-Industrie gab es durch REACH an den verschiedensten Stellen mächtige Bewegungen. Speziell die hochgiftigen Weichmacher wie verschiedene Phtalate wurden im Eiltempo durch andere Stoffe ersetzt.

Ob die Umstellung zum Polyball dadurch ins Laufen gekommen ist, ist jetzt reine Spekulation. Ein Geschmäckle hat die Umstellung in jedem Fall, weil ausgerechnet die Frau des damaligen ITTF-Präsidenten das Patent hielt und der Präsident mit seiner damaligen Begründung suggerierte, dass Zelluloid bald nicht mehr verfügbar ist, weil eben Gefahrstoff. Das hat er dann irgendwann relativiert, als ihm diese Aussage mehrfach um die Ohren gehauen wurde, aber ein Zusammenhang mit REACH und dem möglichen Wunsch der Hersteller, hier die komplizierten und teuren Registrierungsprozesse zu vermeiden, lässt sich da zumindest -wohlwollend- erahnen. Irgend einen Anlass muss es ja gegeben haben, die Entwicklung voranzutreiben. Polybälle in Strandbad-Qualiät gibt es ja schon lange. Und auch wenn man selbst das Patent hält, muss man ja gute Argumente haben, einen Hersteller dazu zu bringen, viel Zeit und Geld für die Entwicklungsarbeit in die Hand zu nehmen. Das macht der auch nicht ohne irgend einen Anlass.

Was ganz besonders ungeschickt war, ist, dass durch die Hintertür auch der Durchmesser der Bälle erhöht wurde. Waren die Z-Bälle im Schnitt unter 40mm, weil man die Toleranzgrenze nach unten hin ausgenutzt hat, müssen die P-Bälle nun mindestens 40mm haben, deshalb "40+". Diese Erhöhung des Durchmessers wirkt sich auf das Spielgefühl aus. Leider haben die Spieler dadurch nie die Chance gehabt, Z-Bällen mit P-Bällen wirklich zu vergleichen. Wahrscheinlich wäre das Spielgefühl bei exakt gleichem Durchmesser viel näher am Z-Ball dran gewesen und die Akzeptanz bei den Spielern wäre höher gewesen. In Verbindung mit der schlechten Haltbarkeit schrammte man aber Jahre lang an der Katastrophe entlang. Jetzt, wo die P-Bälle eine hinnehmbare Qualität haben, zumindest die Besseren, wird nun Nägel mit Köpfen gemacht. Die Produktion der Z-Bälle wurde bei fast jedem Hersteller Anfang des Jahres gestoppt. Zwar wollte niemand den Z-Bällen die Zulassung entziehen, aber man wollte das über mangelnde Verfügbarkeit ausschleichen lassen.

Und wird wohl per Dringlichkeitsantrag im November beim Bundestag (DTTB) darüber entschieden, den Z-Bällen zur neuen Saison doch die Zulassung zu entziehen. Ich spekuliere auf Druck durch die Hersteller, da der Abbau der Lagerbestände wohl doch länger dauert, als erwartet und die Vereine bei der Umstellung doch viel verhaltener sind, als erhofft.
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