Zitat:
Zitat von Danielson
Du kannst noch weiter erörtern, wie viel Einfluss beispielsweise russische Bots in sozialen Medien ausüben. Oder welche Macht inzwischen von China aus programmierte Algorithmen auf TikTok haben.
Nochmal: Ich halte unsere Medienlandschaft im Vergleich zu der vieler anderer Länder für relativ divers. Und ja, ich bin dabei Spiegel-Leser. Und vertraue darauf, dass führende Journalisten des Nachrichtenmagazins wie Melanie Amann, Nikolaus Blome, Dirk Kurbjuweit oder Stefan Kuzmany mir keinen Blödsinn im Hinblick auf politische Entwicklungen erzählen. Du magst eine andere Ansicht vertreten. Das ist gut so, solange du dabei seriös argumentierst.
|
Das viel größere Problem meines Erachtens wurde doch erst durch den Fall Relotius wirklich deutlich.
Der sogenannte "Haltungsjournalismus" ist ja nichts neues, sowohl im Axel-Springer-Verlag als auch beim Spiegel, die sich ja nicht nur als neutrale, journalistische Beobachter, sondern auch als politische Akteure verstehen ("Kohl wegschreiben", "Wulf-Affäre"). Die ganzen Betrügereien von Relotius wurden ja durchgewunken, weil dessen Stories einfach zu gut in das Weltbild der Redaktionen gepasst haben und er nicht schrieb, wie die Welt ist - sondern wie sie der Meinung der Redaktion zu sein hat.
"Dies kann durch die Auswahl von Themen, die Art der Berichterstattung, die Wortwahl und die Betonung bestimmter Aspekte geschehen. Manchmal nehmen Journalisten offen eine politische, soziale oder kulturelle Position ein und nutzen ihre Plattform, um für bestimmte Werte oder Überzeugungen einzutreten. Der Fokus liegt darauf, eine klare Position zu vertreten (advocacy journalism), ohne notwendigerweise eine erkennbare Meinung wie im Kommentar auszudrücken. " Damit nicht gemeint ist ein Meinungsjournalismus in Form eines Kommentars, der die subjektive Position des Redakteurs widerspiegelt, aber als solcher gekennzeichnet ist.
Dies ist ja ganz ohne Zweifel in der Migrations-, Klimawandel- und Coronakrise in den letzten 10 bis 15 Jahren zeitweise völlig aus dem Ruder gelaufen. Journalisten sahen sich immer mehr als Vertreter der "guten Sache" und meinten die Bevölkerung nur "mitnehmen und überzeugen zu müssen". Hanns Joachim Friedrichs hatte dazu einen bekannten Satz geprägt: „Das habe ich in meinen fünf Jahren bei der BBC in London gelernt: Distanz halten, sich nicht gemein machen mit einer Sache, auch nicht mit einer guten, nicht in öffentliche Betroffenheit versinken, im Umgang mit Katastrophen cool bleiben, ohne kalt zu sein.“
Der Cicero schreibt dazu:
"Die öffentlich-rechtlichen Anstalten, viele Zeitschriften und Zeitungen, vom Spiegel bis zur Süddeutschen Zeitung, wurden in diesem Geist gegründet. Dessen oberster Grundsatz war die „impartiality“, die Unvoreingenommenheit, mit der ein verpflichtender Kodex einherging.
Dazu gehörten unter anderem die strikte Trennung von Bericht und Kommentar, die genaue Prüfung der Fakten, die Pflicht, die Gegenseite ausführlich zu Wort kommen zu lassen, das Zwei-Quellen-Prinzip, Meinungspluralismus. Dabei waren Casdorff und andere keineswegs Gegner eines engagierten Journalismus, lehnten aber einen aktivistischen, parteiischen Journalismus ab. Auch aus taktischen Gründen. Wer mit seiner journalistischen Arbeit etwas erreichen, Aufklärung und kritisches Nachdenken bei den Lesern oder Zuschauern fördern wollte, sollte sich vor allem auch an die wenden, die nicht schon zu 100 Prozent die Meinung der Autoren teilten. „News analysis“ statt Predigt, mündige Bürger statt Gemeinde."
Die einseitige Bestätigungsrecherche bezeichnet das genaue, unredliche, aber nicht seltene Gegenteil. Man hat eine These, sucht dann nach Argumenten und Experten, die sie stützen. Fertig.
Von Sir Karl Popper stammt auch die Warnung, höchst wachsam zu sein, wenn viele, fast alle einer Meinung sind. Das gilt für die Wissenschaft, erst recht für den Journalismus. Dessen Tugenden lauten Skepsis und Misstrauen.
Jener aus den Anfängen des deutschen Qualitätsjournalismus stammende Verhaltenskodex definiert, was ich unter Haltung verstehe. Dieser Begriff erfährt derzeit eine Art Transformation. Der neue Journalismus führt Haltung ins Feld, wenn Gesinnung gemeint ist. Haltung unterliegt ständiger Prüfung, auch der Selbstkritik, Gesinnung nicht.
Unter „Schaum“ verstand Claus Hinrich Casdorff ziemlich genau das, was heute den neuen Journalismus auszeichnet. „Schaum“ – damit war jeder Versuch gemeint, den Bürger zu erziehen, statt ihn so umfassend wie möglich zu informieren. Im Klartext: wenn Journalisten zu politischen Akteuren werden, Politik machen wollen, statt über sie zu berichten, haben sie ihren Beruf verfehlt. Parteien, Initiativen, Bewegungen gibt es genug.
„Facts are sacred, comments are free“ - Dahin müssen wir wieder hin.
Und weiter meint der dazu:
"Aus dem Gefühl moralischer Überlegenheit entscheiden diese neuen Journalisten darüber, welche Positionen nicht mehr zu Wort kommen dürfen, was toxische Inhalte sind. Vor der Berichterstattung wird gleichsam ein moralischer Filter eingezogen, gut oder böse. So entsteht ein Bekenntnisjournalismus, der Teile der Wirklichkeit ausblendet, widerstrebende Fakten nicht mehr wahrhaben will, vor lauter Betroffenheit Fragen nicht mehr stellt. Das gilt zum Beispiel für die „Mainstreamberichterstattung“ über die Flüchtlingskrise, zumindest so lange, bis die Realität nicht mehr zu verdrängen war. Selbst wohlwollende Beobachter stellten seinerzeit eine auffallende Einförmigkeit in den deutschen Medien fest"
Und da muss man sich nicht wundern, wenn dann Leute sich nicht mehr wiederfinden können, sich Widersprüche zwischen Geschriebenem und Realität auftun - und die Leute dann "nicht mehr erreichbar sind".
Ich hatte übrigens auch den Spiegel über 10 Jahre abonniert, da gab es aber früher mehr exklusive Nachrichten und weniger Meinung.