Interessanter Artikel über Wang Liquin
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Zitat:
Olympia-Countdown (22)
Der zerbrechliche Kraftprotz: Wang Liqin siegt und leidet
Von Peter Heß
Wang Liqin hat den Blick fürs Wesentliche
29. Juli 2008 Wang Liqin ist Tischtennis-Weltmeister, im Einzel und mit der Mannschaft. An guten Tagen kommt das Spiel des 30 Jahre alten Modellathleten der Perfektion nahe.
„Er spielt manchmal, als wäre er geisteskrank.“
Dreimal schon gewann er den Einzeltitel, 2001, 2005 und 2007, was vor ihm nur ein Landsmann schaffte, Chuang Tse-Tung, aber das war zwischen 1961 und 1965, eine nicht vergleichbare Leistung.
„Er muss Abstand zum Team halten, er verbreitet negative Energie.“
Dazu sammelte Wang Liqin die größten Erfolge im Doppel und im Mixed, darunter die Goldmedaille 2000 in Sydney mit seinem Partner Yan Sen. Seit 1996 gehört er zur Nationalmannschaft, noch kein Chinese hielt sich so lange wie er in der Spitze.
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„Ich habe nie gedacht, dass er gegen einen drittklassigen Gegner verlieren könnte. Hoffentlich spielt er nie wieder diesen blödsinnigen Müll, vor allem nicht in Peking.“
Wang Liqin ist ein Volksheld. Aber das bewahrt ihn nicht vor Kritik.
Er fühlt sich selten wohl, wenn er beobachtet wird
Wenn China während des Countdowns auf die Spiele in Peking seine Promotionaktionen zelebrierte, wurde der Tischtennisstar in die vorderste Linie geschoben. Bei der Vorstellung der Olympia-Hymne etwa oder der Auslosung der Fackelläufer. Dann stand er neben den größten Idolen und Heroen wie dem Basketballspieler Yao Ming oder dem Hürdensprint-Olympiasieger Liu Xiang und schaute ausdruckslos in die Kameras, unterbrochen von Anflügen seines unsicheren Lächelns.
Siege sind ihm nicht genug, Demonstrationen müssen es sein
Wang Liqin fühlt sich selten wohl, wenn er beobachtet wird, noch nicht einmal, wenn er tut, was er am besten kann: Tischtennis spielen. Nicht nur bei den peinlichen Niederlagen, die zu den gnadenlosesten Trainerkommentaren geführt haben, mit denen je ein chinesischer Tischtennisspieler vor Journalisten bloßgestellt wurde - auch bei vielen seiner Siege scheint Wang Liqin seltsam teilnahmslos oder leicht leidend. Als spielte er sein eigenes Spiel, das sich den Bewertungsgrundlagen der anderen entzieht.
„Hallo“, „Ja, bitte“, „Nein, danke“, „Tschüs“
Siege sind ihm nicht genug, Demonstrationen müssen es sein oder Triumphe - wie im WM-Finale 2007 in Zagreb, als er seinen alten Rivalen Ma Lin nach fast aussichtslosem Rückstand noch auseinandernahm. Oder bei den chinesischen Meisterschaften 2005, als er den Einzeltitel so dringend benötigte, weil seine Stellung in der nationalen Hierarchie gefährdet war. Dann ist Wang Liqin zu Gefühlsausbrüchen fähig, die seine Leistungen angemessen würdigen, dann wirkt er wie andere Tischtennisspieler. Aber zu großen Emotionen ist Wang Liqin erst seit ein paar Jahren fähig, er hat sie sich erarbeitet, wie alles andere auch. „Mir fehlt die Entschlossenheit, Giftigkeit, Aggressivität. Ich darf nicht alles nur beobachten wollen“, analysierte er im Jahr 2001 und kündigte kleine Veränderungen in seinem Charakter an.
Wang Liqin: Er gilt als Trainingsmaschine, als unermüdlicher Arbeiter, akribischer Tüftler an seiner Technik
In den chinesischen Nachwuchsteams und den ersten Jahren in der Nationalmannschaft kommunizierte er nicht mit seinen Teamkameraden. Er sprach einfach nicht mit ihnen über ein „Hallo“, „Ja, bitte“, „Nein, danke“, „Tschüs“ hinaus.
Er hatte höllische Schmerzen, sagte aber nichts
Im Alter von zwölf Jahren brachte ihm China das erste Mal große Aufmerksamkeit entgegen. Am Abend vor seinem Halbfinalspiel beim nationalen Tischtennis-Kindercamp quetschte er sich den Daumen seiner rechten Schlaghand im Busfenster ein. Der Daumen schwoll an, der Nagel fiel ab, das Kind hatte höllische Schmerzen, sagte aber nichts. Es trat an, und es spielte weiter, als das Blut während der Begegnung durch den Verband tropfte. Die Verbandsführung erfuhr von dem Zwölfjährigen, der tapfer seine Schmerzen verbeißen konnte, und lobte ihn offiziell in der Verbandszeitschrift.
Tischtennis-Weltmeister China (v.li.): Chen Qi, Ma Long, Wang Liqin, Nationaltrainer Liu Guoliang, Wang Hao und Ma Lin
Der Fokus ist immer noch auf Wang Liqin gerichtet. Um zu erahnen, was es bedeutet, zwölf Jahre lang Stammspieler in der chinesischen Nationalmannschaft zu sein, muss man sich ein Bild darüber machen, was Tischtennis in China bedeutet. Es ist der Volkssport, der fast jeden beschäftigt, mehr noch, als die Deutschen vom Fußball gefesselt sind. Das Volk erwartet von den Spielern und Trainern quasi Unbesiegbarkeit, und der Verband hat praktisch unbegrenzte Mittel, diesen Anspruch zu verwirklichen.
Eine chinesische WM-Delegation nimmt es mit den Standards auf, die Jürgen Klinsmann bei der deutschen Fußball-Nationalmannschaft setzte, von den Erholungs-Lounges abgesehen. Dutzende Trainer, Betreuer, Spielbeobachter, Physiotherapeuten und Köche lassen die Konkurrenz neidisch von einem Rundumsorglospaket für die chinesischen Athleten sprechen. Timo Boll gingen die Augen über, als er - von den Wachen unerkannt - das nationale Leistungszentrum in Peking besichtigen konnte: „Tischtennistische auf fünf Ebenen, überall Spieler, von acht Jahren bis ins Athletenalter. Es ist der große Vorteil der Chinesen, dass sie außerhalb der Saison zusammen trainieren können. Bis zu 50 Nationalspieler. Ich glaube, es ist für sie manchmal härter, sich intern durchzusetzen als gegen die internationale Konkurrenz.“
Das Bild, das die Tischtenniswelt von dem 30 Jahre alten Wang hat, besteht aus zwei kontrastierenden Farben: Überwiegend aus dem kräftigen Rot für den erfolgreichen Star, der die Gegner auseinandernimmt, zerschmettert, der neue Standards für Athletik und Dynamik gesetzt hat, Tugenden, die sich in seinem Spitznamen „Dali“ (Kraftprotz) bündeln. Aber von einer Ecke der Leinwand prangt ein Klecks Dunkelgrau, das Dunkelgrau des unsicheren, hilflosen Sportlers, der die Welt nicht mehr versteht, weil er an den Nerven scheitert, gegen Spieler verliert, die seine Trainer „inkompetent“ nennen.
„Wenn ein Spiel nicht nach meiner Vorstellung lief, wusste ich nicht weiter“
Diese dunkelgrauen Perioden durchlebt Wang Liqin seit Beginn seiner Karriere. Sie sind unterschiedlich lang und intensiv. Am kürzesten war eine davon 2001 bei der WM in Osaka, bei der noch Team- und Einzelwettbewerbe unmittelbar hintereinander ausgetragen wurden. Damals verbannten ihn die Trainer nach einer Niederlage im Mannschaftskampf gegen Timo Boll auf die Tribüne. Mit dem Hinweis auf die schlechte Energie, die er verbreite. Ein ungeheurer Vorgang, der erste und bislang letzte dieser Art in einer chinesischen Tischtennis-Equipe. China gewann ohne ihn das Mannschaftsfinale, keine Woche später war Wang Liqin Einzelweltmeister.
Damals begründete er seine Ausreißer mit der naiven Art seines Trainings. Er beschäftigte sich nur mit dem eigenen Spiel und studierte die Gegner nur unzureichend: „Wenn dann ein Spiel nicht nach meiner Vorstellung lief, wusste ich nicht weiter.“ Diese Schwäche hat er bis heute nicht ganz abgelegt, obwohl sein persönlicher Trainer Shi Zhihao alles versuchte, einen mündigen Athleten aus ihm zu machen. Wie sein Schützling aus Schanghai stammend, forderte er ihn auf, nicht nur auf ihn und die anderen Trainer zu hören. Er animierte ihn zu eigenen Ideen, wollte gar Widerspruch. Aber es ist immer noch so, dass Wang Liqin oft keinen Plan B entwickelt, wenn sich der Gegner weigert, so zu spielen, wie er es von ihm erwartet.
Vielen Europäern ist Wang Liqin der liebste Chinese
Wang Liqin und Improvisation, das passt einfach nicht zusammen. Er gilt als Trainingsmaschine, als unermüdlicher Arbeiter, akribischer Tüftler an seiner Technik. Keiner widmet seinen Belägen so viel Aufmerksamkeit wie er, bis zu 20 Schichten Kleber trägt er auf sein Holz auf, was ihm den Spott einbrachte: Frischkleben sei sein einziges Hobby, für etwas anderes habe er gar keine Zeit. Das stimmt nicht. Wang Liqin interessiert sich für Mode, hüllt sich gerne in italienische Stoffe. Auch die Formel 1 fasziniert ihn, dazu die Musik. Er hält sich selbst für einen guten Sänger, andere Meinungen sind nicht bekannt.
Wang Liqins Spiel stellt keine besondere Herausforderung an seine Gegner, vor allem nicht an die Europäer. Er spielt wie die meisten aus dem Abendland, mit Shakehandgriff, Angriff über die Vorhand. „Vielen Europäern ist Wang Liqin der liebste Chinese, weil sein Spiel keine Geheimnisse birgt. Aber sie gewinnen dennoch nicht. Denn alles, was sie können, kann Wang eine Klasse besser“, sagt der deutsche Cheftrainer Dirk Schimmelpfennig. Für ihn ist Wang der Spieler, der der Perfektion am nächsten kommt. Herrenbundestrainer Richard Prause sieht in der Einfachheit des Spiels Wang Liqins das große Erfolgsgeheimnis. „Über die Vorhand in den Angriff und bumm!“ Seine extreme Körperstabilität und Beweglichkeit befähigen ihn, in Situationen die Initiative zu ergreifen, in denen alle anderen den Ball nur im Spiel halten können. Und wenn der 1,86 Meter große Modellathlet einmal Druck macht, gibt es durch die extreme Härte seiner Schläge kein Entrinnen mehr.
Graue Phase: Er hat schon gegen acht Europäer verloren
Im Moment durchlebt Wang Liqin wieder eine seiner dunkelgrauen Perioden. Er hat seit dem WM-Titel vor einem guten Jahr in Zagreb kein Turnier mehr gewonnen und schon gegen acht Europäer verloren, darunter gegen die neue deutsche Hoffnung Dimitrji Ovtcharov. Doch es handelt sich diesmal wohl nicht um einen Rückfall in Selbstzweifel mit autistischen Anwandlungen. Cheftrainer Schimmelpfennig analysiert: „Er stellt sein Spiel um, er setzt viel mehr die Rückhand ein.“ Schimmelpfennig sieht Wang Liqin in einer Aufbauphase wie vor der WM in Zagreb, als er auch keine guten Ergebnisse geliefert hatte: „Sein Trainer und er arbeiten akribisch an den Mängeln. Was gestern eine Schwäche war, kann heute aufgeholt sein und morgen eine Stärke darstellen. Ich traue ihm zu, in Peking das Einzelfinale zu erreichen.“
Keinen Deut weniger erwartet China von ihm. Und wenn Wang Liqin dem Druck nicht standhält, wird er wieder zerrissen werden. Aber das kennt er ja seit vielen Jahren.
Text: F.A.Z.
Bildmaterial: AP, imago sportfotodienst, picture-alliance/ dpa, picture-alliance/ dpa/dpaweb
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