Historischer Doppelmord in Steglitz

[Rieslingrübe]

In vier Tagen ist es soweit : Am kommenden Donnerstag, den 28. Juni, vor genau 80 Jahren erschoss der damals 19jährige Berliner Abiturient Günther Scheller den gleichaltrigen Hans Stephan und anschließend sich selbst.

Diese Tat ging als die sogenannte ´Steglitzer Schülertragödie´ in die deutsche Kriminalgeschichte ein; der folgende wochenlange Sensationsprozeß gegen den damals 18 jährigen Haupt- und Mitverdächtigen Paul Krantz, der schließlich freigesprochen wurde, erlebte landes-, ja weltweit (sogar aus den USA und Japan reisten Gerichtsreporter an) eine historische Medienpräsenz, wie in einem solchen Ausmaß bei einem Ereignis im Schülermilieu später nicht einmal der Amoklauf des Robert Steinhäuser im April 2002 am Erfurter Gutenberg Gymnasium.

Dreimal wurde diese Tragödie seither verfilmt - zuletzt vor vier Jahren von Achim von Borries unter dem Titel ´Was nützt die Liebe in Gedanken´, mit Daniel Brühl u. August Diehl in den Hauptrollen.


Wie konnte es geschehen, daß drei Pistolenschüsse, die zwei Menschenleben in den Morgenstunden eines Junitages im Jahre 1927 beendeten, über Jahrzehnte bis heute Schriftsteller, Drehbuchautoren, Regisseure, Journalisten und Juristen aus aller Welt immer wieder beschäftigt haben ?

In einem flüchtigen Rückblick gar nicht so leicht zu beantworten. Die leichtlebige Weimarer Zeit in den Goldenen Zwanzigern vor der Weltwirtschaftskrise und dem aufziehenden Faschismus bot ja immer schon Stoff für Träume, regte viele Dichter, Denker und Filmer an.

Der spezifische Reiz dieser Geschichte liegt wohl zum einen in dem verworrenen Beziehungsgeflecht der Beteiligten - die Geschwister Günther und Hilde Scheller, Paul Krantz, Hans Stephan plus einige Mitschüler/innen und Freunde -, zum andern an den besonderen Begleitumständen: ein Monate zuvor eigens ins Leben gerufener verruchter Selbstmörderklub inkl. Pakt u. Absprache zum gegenseitigen Mord* und Selbstmord , theatralische Abschiedsbriefe, Travestie, ausgelebte bzw. unterdrückte Bisexualität* , ausschweifende Wochenend-Partys im Absinthrausch im Sommerhaus der Familie Scheller in Mahlow...

Bis heute also ausreichend Skandalpotential, zumal auch der anschließende Mordprozeß - Paul Krantz wurde vom prominenten Berliner Staranwalt Dr. Frey (ähnlich bekannt wie heute z.B. Rolf Bossi) verteidigt - in die Annalen der Deutschen Rechtsgeschichte eingegangen ist. *


Auch ein Blick auf das weitere Leben des Paul Krantz ist interessant: nach seinem Freispruch nahm er den Namen Ernst Erich Noth an, studierte, lebte und publizierte unter diesem Pseudonym zuerst in Frankfurt. Als die Nazis später seine sozialkritischen Romane (u.a. ´Die Mietskaserne´, in dem er auch autobigraphische Erlebnisse aus der skandalösen Berliner Zeit einfliessen ließ) auf die Scheiterhaufen der Bücherverbrennungen warfen und ihm obendrein noch die Doktorwürde verweigerten, emigrierte er nach Frankreich; lebte dort einige Zeit im Untergrund, war in der Resistance aktiv, arbeitete als Journalist und veröffentlichte mit einigem Erfolg in französischer Sprache.

Später verschlug es ihn nach Amerika - dort war er Hochschulprofessor, leitete als Intendant einen Rundfunksender und engagierte sich im Zweiten Weltkrieg in der Propagandaabteilung der US Army.
In den Sechzigern kehrte er nach Deutschland zurück, verbrachte seinen Lebensabend an der südlichen Bergstraße und liegt dort auch auf dem Waldfriedhof Bensheim begraben.


Wen die Skandal-Story aus Steglitz weiter interessiert: Hier ein Artikel dazu von Felix Müller, Redakteur der ´Berliner Morgenpost´, die im Februar 2004 anlässlich der Premiere von ´Was nützt die Liebe in Gedanken´ auf der Berlinale berichtete: http://www.morgenpost.de/content/200...iz/658173.html





* Bekannte Motive aus Hitchcocks ´Strangers On A Train´, der freilich nicht im Schülermilieu spielt

* siehe Paul Schlesinger ´Richter und Gerichtete´ : Der Mordprozeß Krantz, S. 7 ff.


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[Rieslingrübe]

Aus dem Kinofilm wurden ja seinerzeit deutschlandweit viele Szenenbilder veröffentlicht. - Unten zur Abwechslung u.a. auch mal zwei Mini-Fotos bescheidener Qualität der überlebenden Hauptbeteiligten Hilde Scheller und Paul Krantz , welche mir im Zuge einer Recherche vor Jahren der Heimatverein Steglitz freundlicherweise zur Verfügung gestellt hatte und zeitgenössischen Berliner Tageszeitungen entnommen wurden.

Im Gerichtssaal durfte bekanntlich nicht fotografiert werden; daher existieren vom Prozeß nur Zeichnungen, die damals jedoch ebenso reißenden Absatz in den Redaktionen fanden.

Über den Tatort in der Albrechtstraße 72 C gibt's übrigens unterschiedliche Angaben: mal hieß es, das Gebäude hätte den Krieg nicht überstanden; an anderer Stelle steht geschrieben, die Wohneinheiten wären in den Fünfzigern komplett umgestaltet worden.
Auch die Grabstätten von Günther Scheller und Hans Stephan auf dem Steglitzer Friedhof scheinen heute nicht mehr zu existieren - oder wurden auf Wunsch der Angehörigen möglicherweise niemals mit ihrem (Familien-) Namen gekennzeichnet...

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[Rieslingrübe]

In wenigen Stunden ist es nun genau 80 Jahre her. - Möglicherweise läuft morgen gar auf irgend einem Fernsehsender die Verfilmung von Achim von Borries aus dem Jahre 2003:

www.mmeansmovie.de/wasnuetzt.html

Dort wurden die Ereignisse vor, während und nach der Tat in der Albrechtstraße zwar etwas frei, jedoch durchaus gelungen inszeniert.


In Wirklichkeit lief's freilich eher so ab:

http://www.de.wikipedia.org/wiki/Ste...rtrag%C3%B6die

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