TT in den USA?

[Tony_Iommi]

Die Vorstellung von der guten traditionellen Vereinsmeierei, Mannschaftsgefuehl, familiaeres Miteinander, etc., kann man sich in der Tat quergeschnitten an den Arsch nageln.

Das Saufen nach dem Training, die gegenseitige Hilfe beim Wohnungsumzug oder Hausbau, ueber Jahre oder Jahrzehnte hin gefestigte Maenner(Frauen-) freundschaften und den ganzen Kram, kann man getrost vergessen. Wer so etwas "braucht", sollte hier erst gar nicht aufschlagen.

TT in den USA ist nunmal keine Mannschaftssportart und einen regionalen/nationalen Ligenbetrieb gibt es auch nicht. Die Clubs sind privat organisiert oder eben eingetragene Geschaeftsformen. Man spielt fuer sich und sein Rating.

Spielbedingungen:

Was die "Facilities" angeht, so wuerde ich sagen, truegt Dein erster Eindruck nicht. Duschen sind mir (bis auf ein paar grossen Turniere) noch keine zu Gesicht bekommen. Beim groessten ortsansaessigen Club in New Jersey und daher auch die besten Spielbedingungen bietend, sollten die eher zart Besaiteten unter uns den Gang zur Toilette nur mit voheriger verabreichter Tetanusspritze wagen. Kann durchaus vorkommen, dass man auf dem pissbedeckten Boden unsanft ausrutscht. Is' aber halb so wild, denn daran gewoehnt man sich schnell. Auch die Tatsache, dass die Scheisshaeuser weder Tueren noch Vorhaenge haben, wirkt nur am Anfang befremdlich. Und ehe man sich versieht, ist es ganz natuerlich, dass man sich face-to-face mit einem Kollegen ganz entspannt unterhaelt, waehrend er Einen abseilt und man sich selbst die Haende waescht. Oder halt auch umgekehrt. Manchmal klappt das aber auch mit dem Haendewaschen nicht so ganz, wenn z. B. mal wieder kein Wasser kommt....

Dafuer darf man aber als Vollmitglied schon einiges an Gegenleistung erwarten fuer sein Geld. Die laecherlichen $ 400,-- pro Jahr sollten fuer den Durchschnitts -TTNewsler ja wohl kein Problem darstellen. Der Schuppen ist praktisch 24/7 geoeffnet. Man muss sich halt mit den Kollegen absprechen, wann es losgehen soll und dann passt das. Und fuer die meisten Clubmitglieder dort ist das Ganze auch eher eine vollabendliche Beschaeftigung. D.h., z.B., man kommt um 8:30PM und bleibt bis 2:00AM. Waehrend der Zeit spielt man TT, klebt, tuned und feuerzeugbenzined den Schlaeger, in der Zwischenzeit wird der georderte Frass vom Chinesen gegenueber vertilgt (Nummer 107, "Lo-Mein triple spicy" , der absolute Hammer ), etwas pokert und palavert. Also keine so Hetze wie im gestrengen Deutschland: "Training immer Dienstags und Freitags von 20:00h-21:30h" oder anderer regulierter Bloedsinn.

Nivau/Niveu/Nivea: Im Gegensatz zu der landlaeufigen und typisch deutsch-bornierten Meinung, finden sich hier fuer jeden Hobby-Ponger ausreichend Gegner. Das mag ein bissl dauern, bis man sein Network etabliert hat, aber dann geht das. Ich bin in nur 4 Clubs Mitglied und habe ueberhaupt kein Problem, jederzeit und wann ich will, mit mindestens gleich starken oder aber sogar mit deutlich staerkeren Kalibern, zu zocken (liegt aber auch an meinem hier nicht geraden typischen Spielstil). Und auf Turnieren wird das ja sowieso automatisch ueber das Rating geregelt. Dazu nachher mehr. Regeln fuer den Trainingsablauf? Naja, im Prinzip auch nicht anders, als im gelobten Deutschland. Man wechselt eben ab, so oft es geht. Gut, oft sind die Schuppen halt natuerlich gnadenlos ueberfuellt und deshalb haben viele Clubs die "Winner stays" Regel eingefuehrt. Ein Spieler bleibt einfach so lange am Tisch, bis er verliert. Ich finde das gut und nur gerecht. Schliesslich habe ich keinen Bock andauernd nur mit irgendwelchen Losern auf Bezirksklassen-"Nivea" zu zocken. Aber auch die koennen eben wieder jederzeit sich per einem beherzten "I'm next here" an einem Tisch ihrer Wahl "einschreiben". Das geht dann eben nach first come first serve. Wenn halt schon jemand voher schneller war muss man eben warten, bis man wieder an die Reihe kommt.
Die Regel wurde in manchen Clubs mittlerweile (leider!!) erweitert. Als Sieger einer Partie, darf man maximal zwei weitere Spiele zocken. Dann muss man den Tisch, selbst nach gewonnem Spiel, verlassen.
Funktioniert aber alles in allem ganz gut, sogar viel besser als in so manchem Club in Deutschland, wo weniger starke Spieler oft stundenlang auf der Bank harren muessen, bis sich einer mal herablaesst und sie mal an die Reihe laesst.

Rating: Kann ich jetzt stundenlang darueber schreiben. Wahrscheinlich findest Du aber auf usatt.org eine genaue Beschreibung, wie es funktioniert.
Das Rating spiegelt (im Idealfall) deine Spielstaerke wieder. Anhand deines Ratings kannst Du dann auf Turnieren dich in den ensprechenden Kategorien anmelden. Hier ist ein Beispiel einer Turnierauschreibung mit den Kategorien:

http://www.njttc.org/forms/NJTTC2008NovOpen.pdf

Mein momentanes Rating ist 2169 und so duerfte ich demnach auf diesem Turnier in der "Under 2200", "Under 2350" und der "Open RR" mitspielen. Man ist da aber schnell mal so $ 60 los, nur fuer die Anmeldungen. Ach so, man darf aber nur auf Turnieren spielen, wenn man USATT-Mitglied ist. Das kostest so um die $ 35,-/Jahr.

Tja, was gaebe es noch zu sagen: Du kannst, wenn Du nicht gerade irgendwo in North Dakota oder aehnlichem Niemandsland wohnst, mit ein bisschen Fahrbereitschaft und zeitlicher Flexibilitaet vorausgesetzt, jeden Tag qualitativ gut trainieren und wenn Du Bock hast, an jedem Wochenende an einem Turnier starten. Ueberhaupt kein Problem, wie gesagt, unter den eben genannten Voraussetzungen. Und das ganz ohne laestige "Vereinszwaenge".

Oft finden sich auch Spieler die einen Tisch (oder gar mehrere Tische) zuhause, im grossraeumig ausgebauten Keller haben. Und je hoeher Du spielst, desto mehr "Angebote" bekommst Du diesbezueglich. Dann laesst's sich schoen Selektieren und erweitert sogar die ohnehin schon umfangreiche Angebotspalette um ein Weiteres.

Nach also ueber drei Jahren hier bleibt festzuhalten, dass es fuer mich so eindeutig besser funktioniert. Mannschaften und Rundenbetrieb, ja, ich geb's zu, missen tu' ich es schon ab und an, keine Frage. Aber im Grossen und Ganzen bin ich mit der Situation hier mehr zufrieden. Wenn ich keinen Bock zum Spielen habe, brauche bleibe ich eben fern und/oder trete kuerzer, wann immer ich das will und niemand muss darunter "leiden".

Saufen und dumm daher reden kann ich auch zuhause, oder auf tt-news, dazu brauche ich keine Mannschaftskollegen.

[nevada]

Danke für den umfassenden Einblick in die TT-Szene auf der anderen Seite des großen Teiches

regs nevada

[Tony_Iommi]

Vielleicht noch ein abschliessendes Wort was die Spielbedingungen angeht. Die Clubs mit groesseren Mitgliederzahlen, haben meist ganz passable Raeumlichkeiten und Rahmenbedingungen. Typischerweise sind es umgebaute Fabrik-/Lagerraeume. Der zuvor gennannte Club in Westfield hat z. B. Holzfussboden und eine sehr gute Beleuchtung, sowie A/C. Die Boxen bieten ausreichend Platz, auch wenn's fuer mich als Abwehrer manchmal eng wird. Fuer Kollegen, die gerne in die Ballonabwehr gehen kommen da (und auch vielerorts anders) nicht auf ihre Kosten. Viele der kleinen Clubs teilen sich die Raeumlichkeiten mit anderen Organisationen, wie z. B. YMCA. Da muss man dann manchmal schon gewaltige Abstriche machen. Ideale Vorraussetungen findet man in der Tat bei den Clubs, die irgendwelchen Unis angeschlossen sind, denn dort gibt es eben richtige Sporthallen.

Da ich weiss, dass es sich bei der Mehrheit der TT-News-ler um wohlhabene, intelligente, blendend aussehende und ueberdurchschnittlich erfolgreiche Maenner und Frauen von Welt handelt (anders kann ich mir das dicke Auftragen in den meisten Foren hier nicht erklaeren), gehe ich davon aus, dass man immer wieder mal einen Zwischenstop in NYC einlegt. Und jetzt ja sowieso um diese Jahreszeit, um rechtzeitig die bargains und sales fuer's Christmas-Shopping zu erhaschen. Deshalb ruhig auch mal wieder die Clubs in der City aufsuchen. Z. B. Wang Chen's Club, 250 W 100th Street. Liegt nebem dem Broadway. Also wenn man mal der sowieso schon fuerchterlich strapazierten Neiman Marcus Kreditkarte (ja ich weiss, in Eurem Fall natuerlich die "Platinum Executive's Delight", nicht mein Popelteil) eine Pause goennen will, einfach ratzfatz ueber die Strasse huepfen, ein paar Blocks runter rennen und schon ist man da. Die Spielstaette ist ein bissl eng, aber fuer Globetrotter wie Euch, super praktisch zu erreichen. Wang ist sehr nett und spricht sogar ein paar Brocken Deutsch (z.B. "Ich liebe Dich").

Mein Lieblingsclub in der City ist allerdings die Big Apple TT Academy in Long Island. Allein schon das Aufsuchen der Staette kompensiert jedes Aufwaermtraining. Fuer die etwas unsicheren und eher zaghafteren Zeitgenossen unter uns, hier wieder ein Gratistip - nehmt Euch ein Cab und zahlt die paar Muecken, fuer Euch Grossverdiener sicher kein Problem. Fuer geistig und monetaer Minderbemittelte so wie mich, muss alternativ die Subway herhalten. Aber gut, man muss halt wissen ob man sich dem Riskio aussetzen will. Mein Schwiegervater, gebuertig in Brooklyn und echter City-Slicker, hat mir eindringlich und mahnend davon abgeraten. Aber ich wollte halt wieder mal nicht hoeren. Also machte ich mich auf von NJ rein nach NYC zur Endstation Penn-Station/MSG. Von dort aus in die Subway, zweimal umsteigen. Im Gegensatz zu Euch, muss ich jeden Cent zweimal umdrehen und demzufolge verbrachte ich etwas (zuviel!) Zeit um herauszufinden, was fuer mich der guenstigste Tarif waere (Round Trip). Innerhalb von wenigen Sekunden, war alle um mich herum verschwunden. Gerade eben waren noch einige hundert Menschen um mich herum und im naechsten Augenblick sind alle weg. Dann kam ein Typ die Treppe herunter und schnurstracks auf mich zu. Nun bin ich durch mein mangelndes Selbstbewusstsein (fuer Euch wieder mal ein Fremdwort, ich weiss - ich weiss) ohnehin schon genug gepeinigt und nur steht mir auch noch Pruegel in's Haus. Wie also sollte ich mich in so einer Situation verhalten? Ich beschloss also, dass in diesem Falle Angriff die beste Verteidigung sei (alte Abwehrerweisheit!) und bin mit beherzten Schritten direkt auf ihn zu. Auge in Auge meinte er dann: "eyy wassup homey?!". Freundlich und zuvorkommend wie ich nunmal bin, entgegnete ich "anythin you want?" Er darauf etwas verwirrt und dann defensiv:" I'm good, man, I'm good - just checkin in..". Das war das Ende der Unterhaltung. Schade eigentlich, aber in dem Moment war's mir ganz recht.

In der Subway dann bin ich dummerweise in's falsche Abteil geraten. Und so wurde ich unfreiwillig Zeuge einer Auseinandersetzung zwischen einer handvoll aufgebrachter Kids. Endlich angekommen, raus aus der Subway und wieder an's Tageslicht. Und direkt gegenueber war auch schon die Addresse des Clubs. Allerdings war ich doch etwas irritiert, den von aussen sah das Gebaeude ueberhaupt nicht danach, als man darin haette TT spielen koennen. Vier Stockwerke und so ca. jedes zweite Fenster war eingeschlagen oder eben ganz weg. Etwas zoegerlich begab ich mich dann zum "Haupteingang" hin. Ich musste ueber zwei reglos am Boden liegenden Koerper steigen. Ob die tot waren oder einfach nur ausgeknocked, weiss ich ehrlich gesagt auch nicht. Der Lift war auch etwas merkwuerdig und es hat eine gute Minute gedauert, bis ich im richtigen Stockwerk (ich glaub es war das dritte) angekommen war. Allerdings hatte mir freundlicherweise Thal Leibovitz (dem gehoert der Laden) im Vorfeld den Tipp gegeben, das Treppenhaus zu meiden, er meinte es sei "not really safe". Oben angekommen ging's dann den Gang herunter, ueber etwas Geruempel (alte Kloschuesseln, Abfall, Spritzen etc.) mutig drueber weg gesprungen, Tuere aufgestossen und dann war ich endlich da. Schoener umgebauter Raum. An einigen Tischen ist es ein bissl eng aber im Grossen und Ganzen sehr nett. Stehen auch ein paar Couches rum, Fernseher laeuft (meistens TT DVDs), zwei Roboter, etc.. Und vom Niveau her tummeln sich alles von Gurken-Kreisklassen-Toelpeln bis hin zu 2. Bundesliga.
Ich bin dannach fuer einige Zeit regelmaessig hingegangen, mittlerweile habe ich aber einfacher zu erreichende Optionen.

Also, definitiv mal reinschauen - es lohnt sich!

[Waterhouse]

@ Tony

auch von mir herzlichen Dank für die unterhaltsamen Einblicke in die US-TT-Szene.

Täusche ich mich oder sind wir momentan etwas "angefressen"...

[Tony_Iommi]

Zitat von Waterhouse

@ Tony

auch von mir herzlichen Dank für die unterhaltsamen Einblicke in die US-TT-Szene.

Täusche ich mich oder sind wir momentan etwas "angefressen"...

Bitteschoen.

"Angefressen"? Verstehe ich nicht. Meinst Du in Sachen TT?

[Waterhouse]

Zitat von Tony_Iommi

Bitteschoen.

"Angefressen"? Verstehe ich nicht. Meinst Du in Sachen TT?

Deine zynischen Seitenhiebe auf die TT-Newsler peppen Deinen Bericht durchaus auf. Habe diese Ader bei Dir bisher halt noch nicht entdeckt. Im Gegenteil...Dir eilt eigentlich der Ruf voraus auch bei den größten Dumpfbacken mit moderaten Tönen wieder etwas Sachlichkeit in manch ausgeuferte Diskussion zu bringen...

[Tony_Iommi]

Echt? Wusste gar nicht, dass ich hier einen Ruf habe. Den man sogar noch "positiv" bewerten koennte. Bin sehr ueberrascht.

Nee, dazu ist mir tt-news nicht wichtig genug. Ueber die nun acht Jahre andauernde Mitgliedschaft hier betrachtet, faellt es (mir) nur eben auf, dass sich insbesonders in der juengeren Vergangenheit, eine grosse Zahl der Kollegen, immer mehr durch besonders bescheurte Beitraege hervor tun. Deshalb halte ich mich eben mehr zurueck als frueher. Ausserdem bin ich selbstkritisch genug, um zu erkennen, dass auch meine Performance hier kontinuierlich nachgelassen hat. Aber im Gegensatz zu anderen halte ich halt eher dann mehrheitlich meine Fresse, als unentwegt langweiligen und vollkommen irrelevanten Mundstuhl abzusondern.

Aber lassen wir das, denn das eigentliche Thema ist ja "TT in den USA". Und dazu habe ich aus meiner Sicht momentan alles gesagt. Vielleicht faellt mir aber spaeter noch etwas dazu ein.

[Turboblock]

Zitat von KÖNIGSBLAU04

Dann ist es dort ja nicht anders als bei uns in Deutschland

nunja,wohl doch eher nicht ganz.tt in den usa,ist wie bei uns murmeln spielen

[Tony_Iommi]

In Sachen Stellenwert des TTs hier und bei Euch in Deutschland, schenkt man sich da nicht viel gegenseitig. Wenn ich jemanden kennenlerne und man dann auf den Sport zu sprechen kommt, erwaehne ich nicht mehr, dass ich TT spiele. Denn man bekommt dann eh nur zu hoeren, dass er/sie frueher auch ganz viel Ping-Pong gespielt hat und damals richtig gut war auf dem Wohnzimmertisch, etc.. Frueher hatte ich immer wieder vergeblich versucht klarzumachen, dass Ping-Pong mit TT nicht viel zu tun hat. Aber erklaere das mal jemandem - ist fuer die Katz. Das kann Dir allerdings auch in Deutschland passieren.

Fuer die wirklich Sportinteressierten hier, gibt's ausser, Baseball, Basketball, Football, Hockey und ein paar anderen Sachen, eh nichts mehr anderes. Wenn Du denen erzaehlst, dass Du TT spielst, denken die man sei schwul. "Oh, Ping-Pong, how cute, pushing a tiny little ball back and forth..ping-pong, ping-pong, ping-pong....douchy fagot!"