Politik - der Thread für politisch Interessierte (ab Dezember 2021)

[Petar]

Zitat von Danielson

Zwei Historiker vertreten im Hinblick auf den Zerfall Jugoslawiens eine etwas andere Position als du...

Ich schrieb: "Es gab auch das Land in Osteuropa, welches 50 Jahre lang weder unter Stalinismus noch unter den amerikanischen Herrscher des Universums sich bücken musste. Das Land war Blocklos und unabhängig. Selbstverständlich musste das Land später dafür grausam zahlen."

Ich erkläre es so:
Im Westen - USA, im Osten - Sowjetunion. In Aquarium dazwischen ein kleines Land mit einem Autokraten/Diktator und trotzdem außenpolitisch NEUTRAL. (s. Blockfreien Staaten)
https://de.wikipedia.org/wiki/Bewegu...freien_Staaten

Ende 80er, Anfang 90er - Auflösung der Sowjetunion, USA bleibt als einzige Supermacht und: Deutsche Wiedervereinigung wird möglich, das widerspenstige und neutrale Land auf dem Balkan wird politisch und praktisch umerzogen (das bedeutete Bürgerkrieg), die andere osteuropäische Länder (wie Polen, Ungarn, Tschechien) werden Ende 90er in die NATO aufgenommen. Wenn der Tito noch am Leben wäre, würde sein Ende wahrscheinlich wie dem vom Saddam, Gaddafi, Milosevic und Co. ähneln. (Assad hat es gerade noch geschafft, wenn auch mit russischer Hilfe.)

Zitat von Danielson

Und so unabhängig war Titos sozialistisches Jugoslawien in den 70er Jahren letztlich auch nicht mehr, als es auf Milliardenkredite aus den USA angewiesen war, um wirtschaftlich zu überleben.

Unabhängig? Milliardenkredite aus den USA?

Nun ziehen wir einen Strich darunter:
1991 gab es noch einen Staat mit dem Namen SFR Jugoslawien.
Der Staat war unabhängig und gehörte zum keinen militärischen Block in der Welt.
Staatsschulden: etwa 15 Milliarden Dollar
(Schulden an internationale Finanzinstitute ca. 3 Milliarden Dollar, an Londoner Club über 4,4 Milliarden, an Pariser Club ca. 6,5 Milliarden Dollar.)

Heute sind die ehemalige SFRJ-Länder zusammen mit etwa 150 Milliarden Dollar verschuldet. (also das 10-fache!)
Kroatien (damals 2,7 Mrd. Dollar/heute 47 Mrd. Dollar) und Slowenien (damals 1,7 Mrd. Dollar/heute über 53 Mrd. Dollar) also ganz oben auf der Liste mit meisten Schulden.
Wirklich reich und schuldenfrei sind sie also doch nicht geworden.

Aber unabhängig?
Natürlich. Sowohl Kroatien als auch Slowenien, Nordmazedonien und Monte Negro gehören dem NATO-Bündnis. Kosovo dagegen kann ganz stolz auf US-Militärbasis Bondsteel sein. (s. https://de.wikipedia.org/wiki/Camp_Bondsteel)

Das verlorene Serbien sollte sich langsam auch entscheiden. Neutral bleiben geht nicht mehr. Die Zukunft könnte der Vergangenheit ähneln: entweder grenzenlose westliche Demokratie oder wieder die Bomben der westlichen Demokratie.

[Danielson]

Zitat von Petar

l]

Ende 80er, Anfang 90er - Auflösung der Sowjetunion, USA bleibt als einzige Supermacht und: Deutsche Wiedervereinigung wird möglich, das widerspenstige und neutrale Land auf dem Balkan wird politisch und praktisch umerzogen (das bedeutete Bürgerkrieg), die andere osteuropäische Länder (wie Polen, Ungarn, Tschechien) werden Ende 90er in die NATO aufgenommen. Wenn der Tito noch am Leben wäre, würde sein Ende wahrscheinlich wie dem vom Saddam, Gaddafi, Milosevic und Co. ähneln. (Assad hat es gerade noch geschafft, wenn auch mit russischer Hilfe.)

Ja, das Land wurde umerzogen. Wer erinnert sich nicht an die Massenumerziehungsmaßnahmen in Slowenien, Kroatien und Bosnien in den 90er Jahren? Vor diesen Umerziehungsmaßnahmen gab es keine Konflikte zwischen den verschiedenen Ethnien im Habsburger Reich, nach dem 1. Weltkrieg und im 2. Weltkrieg - und auch unter Tito gab es keine Konflikte. Die Geschichte über den Balkan und den Zerfall Jugoslawiens muss neu geschrieben werden.

Zitat von Petar

l]

Das verlorene Serbien sollte sich langsam auch entscheiden. Neutral bleiben geht nicht mehr. Die Zukunft könnte der Vergangenheit ähneln: entweder grenzenlose westliche Demokratie oder wieder die Bomben der westlichen Demokratie.

Die armen Serben unter Vucic` Führung. Sie wollen einerseits in die EU, sich andererseits nicht von Putins Russlands vollends distanzieren. Tito ist der Spagat zwischen den Mächten gelungen. Seine Nachfolger in Serbien scheitern daran, weil sie in vielen Fragen einfach nicht neutral sind, sondern einen Eiertanz aufführen - mal zur einen, mal zur anderen Seite hin.

[Petar]

Zitat von Danielson

Sie wollen einerseits in die EU, sich andererseits nicht von Putins Russlands vollends distanzieren.

Hmmm... Weiß nicht so richtig.
https://de.statista.com/statistik/da...it-mit-der-eu/

Zitat von Danielson

Tito ist der Spagat zwischen den Mächten gelungen. Seine Nachfolger in Serbien scheitern daran, weil sie in vielen Fragen einfach nicht neutral sind, sondern einen Eiertanz aufführen - mal zur einen, mal zur anderen Seite hin.

Vielleicht brauchen sie wieder einen Diktator, wie es der Tito war?
Was aber neutral bedeuten könnte:
https://de.wikipedia.org/wiki/Neutra...ionale_Politik) s. Neutralität (internationale Politik)

[User 605960]

Teile meiner Verwandten leben in Serbien; im Banat, Teil der Vojvodina, wo ich auch zur Hälfte Miteigentümer des gemeinsamen Hauses meiner Exehefrau bin. Mittlerweile bin ich mit ihr durch eine langjährige tiefe Freundschaft verbunden, da ich auch der Patenonkel ihrer Tochter bin.
Um ihr das Leben ein wenig zu erleichtern, unterstütze ich die Ex mit einigen hundert Euro monatlich, um ihr das Leben ein wenig zu erleichtern

Die wirtschaftliche Situation ist mehr als triste; viele Menschen haben kaum Geld für das Nötigste um zu überleben.

Leider ist auch die Korruption omnipräsent

Die Menschen jedoch sagen unisono:

Unter Tito ging es uns deutlich besser; wir hatten nie Hunger gelitten; Arbeit gab es immer und einen kleinen bescheidenen Wohlstand hatten wir uns damals unter Tito aufbauen können ... Geblieben ist das nackte Überleben unter teils schlimmen Bedingungen (im ländlichen Bereich)

[Matousek]

Nochmal, Protestwählerstimmen sind in meinen Augen Stimmen, heißt ja auch Wählerstimmen, die von Protestwähler*innen abgegeben werden. Wenn dann müsste es richtiger Weise in Gendernart, Protestwähler*innenstimmen heißen. Karl Valentin hätte seine größte Freude daran gehabt.

[cloud 9]

Zitat von Matousek

Nochmal, Protestwählerstimmen sind in meinen Augen Stimmen, heißt ja auch Wählerstimmen, die von Protestwähler*innen abgegeben werden. Wenn dann müsste es richtiger Weise in Gendernart, Protestwähler*innenstimmen heißen. Karl Valentin hätte seine größte Freude daran gehabt.

Heißt es dann (ganz korrekt natürlich - wir sind doch immer bemüht...) Stimmen*innen oder Stimm*innen?
Und werden dann bei Wahlen Stimm*en und Stimmen*innen /Stimm*innen vielleicht auch richtig getrennt ausgezählt werden müssen? Nicht dass die sich beim Auszählen schon nicht vertragen würden - das gäbe ja noch ein schlimmeres Chaos als bei der Berliner Wahl letztes Mal eh schon... Und uns sollte doch wirklich keine Mühe in diesem (existentiellen?) Bereich zu viel sein!

Obwohl: Die Stimme ist doch von Anfang an (also von Geburt an?) schon weiblich, ob diese "Vergewaltigung" danach dann auch noch unbedingt nötig ist? Nichts Genaues weiß man nicht - erst Recht wir Männer wohl nicht...

[User 59267]

Anne Will sprach vor geraumer Zeit ja auch vom Steuerzahler*innenbund und gerade heute wurde Prof. Karagiannidis in den ARD-Nachrichten als Mitglied im ExpertInnenrat bezeichnet.

[Matousek]

@cloud
Solltest mein Post vllt doch etwas konzentrierter durch lesen.

[Danielson]

Zitat von Petar

Hmmm... Weiß nicht so richtig.
https://de.statista.com/statistik/da...it-mit-der-eu/



Vielleicht brauchen sie wieder einen Diktator, wie es der Tito war?
Was aber neutral bedeuten könnte:
https://de.wikipedia.org/wiki/Neutra...ionale_Politik) s. Neutralität (internationale Politik)

Der Kommunist Tito war kein Nationalist, was die zwingende Voraussetzung dafür war, dass der Vielvölkerstaat Jugoslawien so lange friedlich bestehen konnte. Ian Kershaw (2022) urteilt dazu: Er war "die integrative Kraft, die [die] Völker mit unterschiedlichen ethnischen, sprachlichen und religiösen Wurzen und unterschiedlichem ökonomischen Tempo zusammenhielt".

Jugoslawiens Neutralität zwischen der Nato und dem Warschauer Pakt genoss international ein hohes Ansehen, weil Tito eben kein Nationalist war und für niemanden außerhalb Jugoslawiens eine Bedrohung war. Für viele Länder war Jugoslawiens Unabhängigkeit einst vorbildhaft.


Nur: Tito hat nicht für einen Nachfolger gesorgt, der sein Erbe hätte fortführen können. Nationalisten unter den Teilvölkern unterminierten nach seinem Tod zunehmend den Vielvölkerstaat, sorgten für seinen Zerfall und forcierten die schrecklichen Balkankriege in den 90er Jahren.

Mit Vucic' kurzsichtigem Nationalismus wird Serbien nicht glücklich werden.

[Petar]

Zitat von Danielson

Der Kommunist Tito war kein Nationalist, was die zwingende Voraussetzung dafür war, dass der Vielvölkerstaat Jugoslawien so lange friedlich bestehen konnte. Ian Kershaw (2022) urteilt dazu: Er war "die integrative Kraft, die [die] Völker mit unterschiedlichen ethnischen, sprachlichen und religiösen Wurzen und unterschiedlichem ökonomischen Tempo zusammenhielt".

Ich finde es wirklich gut. Sehr romantisch beschrieben: "die integrative Kraft..."

Also in Übersetzung: ein gnadenloser, blutiger Diktator!

Tito - der jugoslawische Präsident auf Lebenszeit. Seine Skrupellosigkeit bei der Beseitigung politischer Gegner brachte ihm den Ruf als "blutigen Diktator" ein.
Diejenigen, die sich nach dem Bruch mit Stalin weiterhin offen zum Stalinismus bekannten, wurden auf der Insel Goli Otok interniert. Die Gefangenen wurden zur Zwangsarbeit in den Steinbrüchen und Werkstätten eingesetzt, gefoltert und getötet. Erst acht Jahre nach Titos Tod wurde das Gefangenenlager auf der Insel geschlossen.
Hätte eher auch noch die Menschen in anderen Länder mit Drohnen umgebracht, dürfte er damals bestimmt die Hoffnung auf den Friedensnobelpreis haben können... Ein super Typ! Solche Machtinhaber mag der Wertewesten und unterstützt gerne. Sozusagen ein Pinochet des Balkans...