Politik - der Thread für politisch Interessierte (bis Dezember 2021)

[BlindesHuhn]

Ist zwar vielleicht eher Regionalpolitik, aber ich finde, es passt dennoch ganz gut in diesen Thread:

"6900 Stellen weltweit, 3300 davon in Deutschland: Siemens hat angekündigt, Tausende Jobs zu streichen. Zwei Werke in Leipzig und Görlitz sollen ganz geschlossen werden.

Neben Görlitz (720 Arbeitsplätze) und Leipzig (200) sind Offenbach, Erlangen, Erfurt sowie die großen Werke in Berlin (300) und Mülheim an der Ruhr (640) betroffen." [spiegel.de]

Siemens in Görlitz beschäftigt mWn ca. 900 Leute (nicht nur 720, sagt jedenfalls mein Umfeld) plus diverse Zulieferer, die dranhängen. Unbestätigten Zahlen zufolge weitere rund 500.

Siemens dürfte entweder der zweit- oder drittgrößter Arbeitgeber in Görlitz sein. Bin mir nicht sicher, wieviele Beschäftigte Bombardier hat - aber auch so ca. 900. Bombardier steht allerdings seit Jahren auf der Kippe. Könnte sich aber trotz "Unrentabilität" noch zwei Jahre halten ... Toll.
Der größte Arbeitgeber in GR ist die Verwaltung (Kreis/Landratsamt und nachgeordnete Behörden). Baut wohl auch deshalb nach vor Kurzem investierten 15 Mios für weitere 24 Mios schicke Behördengebäude aus ...

Da entwickle selbst ich Verständnis dafür, einfach nur noch Protest zu wählen oder in Trübsinn zu versinken. Man, man, man ... !

Und wenn so eines zum anderen kommt, wundert sich die CDU, warum sie in Sachsen nur noch zweiter Sieger ist ... hinter diesen unsäglichen Typen von der AfD ... Dabei wirds nach solchen Botschaften noch schlimmer ... befürchte ich ...

Sorry, das musste jetzt mal raus. Und sorry für den etwas unsortierten Gedankengang.

[Lousy Defence]

Zitat von BlindesHuhn

Ist zwar vielleicht eher Regionalpolitik (...)

Und sorry für den etwas unsortierten Gedankengang.

Dem kann man schon noch ganz gut folgen. Und das Thema ist ja auch nicht verfehlt. Weitermachen!

[Glücksball]

Zitat von BlindesHuhn

Und wenn so eines zum anderen kommt, wundert sich die CDU, warum sie in Sachsen nur noch zweiter Sieger ist ... hinter diesen unsäglichen Typen von der AfD ... Dabei wirds nach solchen Botschaften noch schlimmer ... befürchte ich ...

Unglaublich, dass ich mich mal genötigt sehe, die CDU zu verteidigen, aber inwiefern ist die Sache denn jetzt die Schuld der CDU? Und inwiefern hat die AfD ein anderes Programm, das eine Abkehr vom Kapitalismus fordern würde?

Im Gegenteil - die AfD ist m. E. stramm neoliberal, was einen guten Teil der Wählerschaft verschrecken würde, wenn das mal jemand von denen läse.

Nicht einmal der Linken würde ich übrigens derzeit eine Systemänderung zutrauen, die an solchen Entlassungen etwas ändert. Auch ist die Frage legitim, ob es wirklich langfristig positiv wirkt, wenn die Politik bei Entlassungen oder Werksschließungen eingreift.

[Fozzi]

Zitat von Glücksball

... Auch ist die Frage legitim, ob es wirklich langfristig positiv wirkt, wenn die Politik bei Entlassungen oder Werksschließungen eingreift.

Eingreifen ist vielleicht wirklich falsch, aber reagieren wäre nett.

Nach meiner Meinung wird zunehmende Automatisierung und Industrie 4.0 (zB https://www.welt.de/wirtschaft/webwe...b-das-Aus.html) zu masiven Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt, damit auch in den Sozialsystemen und der Gesellschaft führen. Entlassungen, Werkschließungen, Online-Angebote, Filialenschließungen ... das dürfte zunehmend ein Thema sein. Das wird nicht nur die Gesellschaft ändern - da muss auch die Politik eine Antwort drauf haben.

Wir haben aktuell das Prinzip, dass Menschen ihr Leben durch Arbeit finanzieren. Ich glaube nicht, dass dieses Modell noch lange Bestand hat. Jedenfalls nicht ohne massive soziale Unruhen. Wirklich funktionierende Alternativen weiß ich auch nicht. Man müßte sowas wie das bedingungslose Grundeinkommen mit einem guten Anreizsystem verbinden. Schwierig

[crycorner]

Der Logik nach: CDU ist in Sachsen in Haupt-Regierungsverantwortung. Die CDU stellt den Ministerpräsidenten sowie die meisten Minister. Der Wirtschaftsminister und stellvertretender Ministerpräsident ist allerdings ein SPD- Mann. Und der hat Siemens öffentlich dazu aufgefordert, die Entscheidung zu revidieren und empfindet den Stellenabbau als eine Unverschämtheit gegenüber dem Land Sachsen.

Für die wirtschaftliche Richtung der AfD interessiert sich niemand. Große Entlassungen bei einem der drei größten Arbeitgeber in Sachsen (bei Bombardier, einem Weiteren, gehen in wenigen Jahren auch die Lichter aus) führt zu Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit, Armut, Frust, Protest, AfD. So verstehe ich zumindest das Huhn.

[crycorner]

Fozzi, im konkreten Fall geht es nicht um Automatisierung und Industrie 4.0, sondern um die unrentabel gewordene Kraftwerkssparte. Solche Unternehmensbereiche, die defizitär, aber dennoch von Bedeutung waren, wurden von Siemens früher durchgefüttert. Da der neue Oberboss aber ein Finanzheini ist und alle Sparten zu Profitcentern gemacht hat, kappt er jetzt die Bereiche, die sich eben nicht als profitabel herausstellen.

Ausserdem stellt sich die Frage, wie der Weg zu Industrie 4.0 getimed werden kann.

Es gibt auf der einen Seite die Menschen, die in Deine Richtung argumentieren und uns vor großen sozialen Schwierigkeiten sehen.

Und es gibt die Demographie- Gurus, die davor warnen, dass uns in nicht allzuferner Zukunft die Arbeitskräfte ausgehen und wir die Immigration bald fördern müssen, um alle notwendigen Stellen zu besetzen.

Die Politik kann da über die Regelungen beispielsweise zum Renteneintrittsalter ein bisschen an der Schraube drehen, um möglicherweise beide Schreckensszenarien zu vermeiden.

[BlindesHuhn]

Zitat von Glücksball

Unglaublich, dass ich mich mal genötigt sehe, die CDU zu verteidigen, aber inwiefern ist die Sache denn jetzt die Schuld der CDU?

Die sächsische CDU ist nicht schuld. Sie ist nie an irgendetwas Schuld. Das wurde schon vor langer Zeit festgelegt. Von der sächsischen CDU.

Aber mal im Ernst. Die beiden

Zitat von Fozzi

... massiven Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt, damit auch in den Sozialsystemen und der Gesellschaft ... Entlassungen, Werkschließungen, Online-Angebote, Filialenschließungen ... das dürfte zunehmend ein Thema sein. Das wird nicht nur die Gesellschaft ändern - da muss auch die Politik eine Antwort drauf haben.

Zitat von crycorner

CDU ist in Sachsen in Haupt-Regierungsverantwortung.
Große Entlassungen bei einem der drei größten Arbeitgeber in Sachsen (bei Bombardier, einem Weiteren, gehen in wenigen Jahren auch die Lichter aus) führt zu Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit, Armut, Frust, Protest, AfD. ...

haben schon gut herausgearbeitet, was ich sagen wollte .

Ergänzend noch:
Ich glaube, jeder - und damit auch ein Weltkonzern wie Siemens - hat eine Verantwortung für die Gesellschaft, dafür, dass diese nicht immer weiter erodiert. Und Politik hat zu gestalten, aktiv und von sich aus. Bedauernde Reaktionen und Sonntagsreden im Nachhinein dürfen dagegen von mir aus gerne wegfallen.
Es muss der Mensch und nicht das Kapital im Mittelpunkt stehen. Letzteres ist lediglich Mittel zum Zweck. Und der Zweck ist das Menschsein. Aber leider wedelt der Schwanz mit dem Hund.

Zitat von Glücksball

Und inwiefern hat die AfD ein anderes Programm, das eine Abkehr vom Kapitalismus fordern würde?
Im Gegenteil - die AfD ist m. E. stramm neoliberal, was einen guten Teil der Wählerschaft verschrecken würde, wenn das mal jemand von denen läse.

Hier hast Du mich anscheinend missverstanden. Ich stimme an der Stelle voll mit Dir überein (und deren "Programm" habe ich gelesen). Ich schrieb unter anderem auch deshalb "unsägliche Typen" ...


PS: Zum Glück gleich Training. Abreagieren ...

[BlindesHuhn]

Zitat von crycorner

Fozzi, im konkreten Fall geht es nicht um Automatisierung und Industrie 4.0, sondern um die unrentabel gewordene Kraftwerkssparte.

Dazu mal ein Zitat aus der Sächsischen Zeitung:

"[...] Pressemitteilung. Darin schilderte er [der Konzern] erneut den Einbruch im Geschäft mit großen Gas- und Dampfturbinen, auf den das Unternehmen nun reagieren müsse. Dass in Görlitz diese Anlagen gar nicht hergestellt, sondern sich das Werk auf Industriedampfturbinen spezialisiert hat, die auf die Energiegewinnung der Zukunft beziehungsweise von Industriebetrieben ausgerichtet sind, kommt in dem Papier nicht vor. [...]"

Und in der heutigen Druckausgabe steht, die Auftragsbücher in Görlitz sind voll. Begründung seitens Siemens sieht also etwas vorgeschoben aus.

Ach, und gerade kam im Radio, dass laut Betriebsrat die Produktion ins Ausland verlagert werden soll ...

Da darf man sich ein bisschen vera****t vorkommen, oder?

[crycorner]

Oh, da bin ich ja mal gespannt...

Ich habe heute im Radio gehört (man merkt, dass man älter wird, wenn man im Autoradio DLF laufen lässt, statt einen Musikkanal...), dass es eine ältere Vereinbarung zwischen Vorstand und Betriebsrat gibt, die besagt, dass die Stellen in Deutschland quasi unantastbar sind. Der Siemens Betriebsrat wird sich da noch verstärkt darauf berufen, das wird in der Presse sicher noch ausgebreitet werden.

[BlindesHuhn]

Zitat von crycorner

..., dass es eine ältere Vereinbarung zwischen Vorstand und Betriebsrat gibt, die besagt, dass die Stellen in Deutschland quasi unantastbar sind.

Auszug Pressemitteilung Siemens:

"Siemens hat mit dem Gesamtbetriebsrat des Unternehmens und der IG Metall eine unbefristete Vereinbarung zu künftigen Restrukturierungen und Strukturänderungen in Deutschland getroffen.
[...]
Mit strukturellen Maßnahmen zur nachhaltigen Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens, geht Siemens auch in Zukunft verantwortungsvoll um und löst diese im Dialog mit den Arbeitnehmervertretern. Dabei steht das Unternehmen zu seiner Zusage, Anpassungen bei den Beschäftigten ohne betriebsbedingte Kündigungen lösen zu wollen. Der Konzern wird hierzu, wie bereits in der Vergangenheit, sämtliche Mittel ausschöpfen. Dazu gehören unter anderem der Personalausgleich zwischen den Standorten und Kurzarbeit. [...]"

Also wie "unantastbar" klingt das nicht, oder? Kenne mich mit der Materie allerdings nicht wirklich aus ...