Veränderung jahrelanger Technik...?

[Malte Heinrich]

Hey,
ich gebe einem Freund Einzeltraining und wir arbeiten gerade an seinem Vorhandtopsin. Ich möchte ihm gerne helfen, aber er stellt uns vor allerhand Herausforderungen.
Er ist Linkshänder und es fällt auf, dass er generell schon in der Grundstellung seinen linken Arm sehr niedrig hält, wodurch er schon beim Kontern den Ball halbwegs hebt/schiebt/führt. Er arbeitet viel mit der Schulter und dem ganzen Körper um den Ball übers Netz zu wuchten und ist dementsprechend unruhig im ganzen Körper und trifft den Ball öfter mal mit der Kante, seine Balle haben wenig Qualität und Konstanz wenn ich ihn auffordere zu schießen.
Das setzt sich beim Vorhandtopsin fort; er spielt hauptsächlich aus der Halbdistanz und hat sich angewöhnt den Ball sehr spät sowie seitlich und eng am Körper zu treffen. Seine Bewegung ist sehr kurz und wieder mit starkem Schultereinsatz, weil er durch den Balltreffpunkt garkeinen Platz hat seinen Unterarm durchzuschwingen, er ist sich selber im Weg. Seine Bälle haben oft wenig Länge und oder er ist gezwungen den Ball relativ zentral zu treffen damit er auf der anderen Seite ankommt.

Ich arbeite mit ihm daran, dass er seinen Unterarm mehr einsetzt sowie den Ball mehr Richtung goldenes Dreieck vorm Körper trifft; wenn ich ihn korrigiere sagt er, dass er alles versteht( das glaube ich ihm auch, er ist intelligent) und dann fragt er mich, wie er das am Besten umsetzten soll, weil sein Bewegungsablauf so automatisiert ist.

Da fühle ich mich ein Bisschen aufgeschmissen, weil ich keine Erfahrung als Trainer habe; ich würde mal schätzen, man lernt am besten durch Konzentration auf einzelne Punkte der Bewegung und dann durch Wiederholung? Sprich Balleimertraining..?

Gerade der Balltreffpunkt scheint eine Herausforderung zu sein, ich sehe oft wie er den Ball beobachtet und damit beschäftigt ist, einzuschätzen wo er denn auftrifft und währenddessen "vergisst" er oder schafft es nicht sich zu bewegen, so dass er dann gezwungen ist zu improvisieren um den Ball auf den Tisch zu spielen. Kann man Antizipation noch gezielter trainieren oder ist das auch eine Frage des Talents?

Für Anregungen, Tripps oder Tricks wäre ich sehr dankbar

Grüße

[Javaguru]

Das kommt mir alles sehr bekannt vor... (Treffpunkt neben dem Körper, dadurch bedingt viele Kantentreffer, Arm am Körper, jahrelang falsch usw.)
--> Wenn man sich diese Technik jahrzehntelang falsch eingebrannt hat (wie ich), dauert die Korrektur mitunter sehr lange. Ist ja auch klar. Wäre schön, wenn man das in wenigen Wochen heraus bekäme, was man in etlichen Jahren verbockt hat. Ich habe das Gefühl, auch nach 2 Jahren Einzeltraining noch nicht dort zu sein, wo ich sein möchte bzw. wollte.
--> Prinzipiell gilt beim Erlernen: Vom Einfachen zum Komplexen.
--> Also zunächst langsam die Technik ausführen lassen mit Konzentration auf Treffpunkt und Bewegung, wobei der deutlich frühere Treffpunkt ggf. gepaart mit Hüftdrehung dem Ball auch bei gewollt langsamen Schlag ordentlich "Schmackes" mitbekommt.
--> Für den Treffpunkt weiter weg vom Körper hilft ein Zuspiel weiter weg vom Körper, so dass er den Arm ausfahren muss.

[Schmidt]

Zitat von Malte Heinrich

oder ist das auch eine Frage des Talents?

...nach meiner Meinung ist es eine Frage des Talents...viele Menschen können einfach mit einem Ball nicht umgehen. Sie "kämpfen" förmlich mit dem Ball.
Ciao
Schmidt

[Javaguru]

Klar ist Talent wichtig, aber es nutzt wenig, wenn dann nicht fleißig und hart trainiert wird.
Und einige (Trainer) sind der Meinung, dass man allein mit Training durchaus bis Regionalliga-Stärke kommen kann, evtl. noch höher.
Wo man geteilter Meinung sein kann, ob es sinnvoll ist, jahrelang eingeschliffene falsche Technik umzustellen oder "das beste draus machen". Ich wollte ersteres ausprobieren, tendiere aber bei dem "Erfolg" eher zu letzterem.

[Patrese]

Ich habe auch meine Technik für den VH-TS umgestellt:

Die Technik muß am besten vor einem Spiegel einstudiert werden. Das hat den Vorteil dass man sich nur darauf konzentriert und den Bewegungsablauf gleich selbst mitbeobachten kann. Ausserdem kann man sich den Erlernen mehrmals täglich widmen. Dabei stelle ich mir auch vor wo ich den Ball treffen möchte. Sobald der Bewegungsablauf verinnerlicht ist, kann das ganze auch gedanklich ohne wirkliche Bewegungsausführung geübt werden. Z. B auf der Arbeit, im Bus, usw. Der Lerneffekt ist neuronal gleichwertig. Für mich ist das die einzige Möglichkeit eine neue Technik in einem sehr kurzen Zeitraum zu erlernen und zu automatisieren.

Der zweite Schritt ist dann das Baleimertraining. Wenn er die Vorübung wirklich ersthaft gemacht hat kann er sich dann darauf konzentrieren den Ball richtig zu treffen und zu verfeinern.

1. Mach Ihn die Technik klar und zeig ihm worauf er zu achten hat damit eine Selbstkorrektur vor den Spiegel erfolgen kann. Kreiere den perfekten Bewegungsablauf. Er wird davon eh nur einen Teil umsetzen können.
2. Er muß das "tausend mal" vorgeübt haben damit eine Automatisierung stattfindet und er sein altes Bewegungsmuster ablegt
3. Tatsächliches Üben am Balleimer, wieder alleinig auf den VH-TS konzentriert, aber alles aus der Bewegung heraus, Standtischtennis gibt es im Match nicht. Nicht zu früh mit anderen Dingen weitermachen.

Der zeitliche Rahmen liegt bei ca. 6 Monaten bis 1 Jahr, hängt alles vom Ergeiz und der Häufigkeit des Übens ab.

Wichtig ist es zu verstehen dass Tischtennis einfach zu schnell ist und daher nur mit automatisierten Bewegungsabläufen erfolgreich gespielt werden kann. Die Automatisierung dauert aber lange und ist schlichtweg von der Anzahl der Wiederholungen abhängig.

Viele Grüße,
Patrese

[Malte Heinrich]

Hey Leute,
danke schonmal für euer Feedback.
Wir hatten gestern unser nächstes Training und ich bin einigen der Tipps hier gefolgt und wir haben die ganze Zeit Balleimertraining gemacht.
Ich habe nochmals seine Armstellung in der neutralen Position korrigiert( Ober -und Unterarm weiter nach vorne, Unterarm weiter aufgerichtet) so dass er den Schläger jetzt ca 20-30 cm höher hält. Jedesmal wenn er seinen Arm wieder sinken ließ habe ich ihn sofort korrigiert und wir hatten ein Erfolgserlebnis, weil er es geschafft hat die Bälle auf einer ganz anderen Ebene zu treffen so dass die Bälle deutlich weiter hinten aufgekommen sind und auch härter waren.
Ein neues Problem, das beim Vorhandtopsin aufgetaucht ist, besteht in einer ungeheuren Grundspannung in seinem Körper, wodurch er es kaum schafft, den Unterarm/das Handgelenk einzusetzen. Er weiß nicht, warum das so bei ihm ist, ist aber schon bei anderen Sportarten ebenfalls aufgetaucht, ein Problem für einen anderen Tag.

Bezüglich der Anitizipation habe ich mir überlegt, das ich später verstärkt mit ihm Aufschlagtraining/ Taktiktraining machen möchte. Wenn er es besser schafft den Ballwechsel zu lenken bzw die Bandbreite der möglichen Rückschläge zu verkleinern/ steuern wird ihm da denke ich ein wenig Arbeit abgenommen. Außerdem hoffe ich, dass wenn er sicherer in seiner Technik wird, dass dann Energien für andere Sachen wie gute Beinarbeit, Beobachtung des Gegners etc frei werden.

Wir hatten jetzt ein erstes "Ahaerlebnis" beim Schüler, was glaube ich Einiges an Spaß und Motivation freigesetzt hat. =)

@ Patrese sehr guter Post
Die Idee mit dem Spiegel finde ich Klasse, ich muss mal sehen wie ich das Umsetzen kann.
Ich bin mir auch nicht 100%ig sicher ob das angenommen wird, manchmal fehlt mir bei meinem Schüler schon beim Einspielen schon die Intensität/Konzentration, die ich selber bräuchte um etwas zu verändern.
Ich denke es ist relativ wichtig, dass sich Arbeit und Spaß beim Training die Waage halten und weiß noch nicht so genau, wo da bei ihm die Grenze ist.

Grüße

Malte

[Nequeo]

Statt Spiegel könnte man auch einfach Videoanalyse machen. Es hilft vielen Spielern sich einfach mal spielen zu sehen, damit sie sehen, ob sie das was sie umsetzen wollen auch wirklich so umsetzen.

Was Unterarmeinsatz angeht, kannst du ihm mal am Balleimer eine Bande oder einen Kasten schräge neben/hinter den Körper stellen auf den er die Schlägerspitze (Handgelenk etwas abgeknickt) legt und aus dieser Stellung Topspins spielen muss. Zum einen muss er den Unterarm dadurch mehr beschleunigen, zum anderen den Ball früher treffen.

[Platzierung ist alles]

Kann da Javaguru und Patrese nur zustimmen!
Wenn seine Technik wirklich so falsch ist wie beschrieben, dann erfordert es viel Geduld das wieder rauszubringen. Ich denke es dauert mindestens 1 Jahr bei "normaler" Trainingshäufigkeit bis die "neue richtige" Technik steht.
Ganz wichtig ist dass du ihm die VH-Techniken am Tisch zeigst, damit er Referenzpunkte hat und ihm sagst worauf es dabei ankommt. Also vor allem Beinstellung, "Hüft-" bzw. Oberkörperrotation, Unterarm- und Handgelenkeinsatz, Gewichtsverlagerung, Schlaganfang - Balltreffpunkt - Schlagende.
Beachte die Technik muss in den wichtigsten Punkten stimmen z.B. am Balltreffpunkt. (Niemand spielt nach Lehrbuchtechnik) Bei Timo Boll ist das Schlagende beim VH-Top an der Schulter, nicht am Kopf.

Wie erwähnt ist zunächst Trockentraining vor Spiegeln/Spiegelwand richtig, damit er sieht wie seine Technik aussieht und aussehen sollte.
Damit der Ellenbogen die richtige Entfernung zum Körper hat, kannst du ihn einen Tennisball oder etwas größeren Ball zwischen Ellenbogen und Körper klemmen lassen...
Beim Einzeltraining ist zwar Balleimertraining sehr gut, aber du siehst durch den Tisch seine Beinstellung nicht. D.h. du solltest diesen Nachteil durch filmen ausgleichen oder am besten einen Spiegel aufstellen, damit du siehst was seine Beine machen.

Wichtig ist auch, wie schon erwähnt, dass du ihm ,sobald er die Grundform der Bewegung kann, die Bälle verteilst und er "aus dem Lauf" spielt.


Ich würde zuerst mal die VH-Technik trainieren und später Antizipation (=Vorausahnung) trainieren. Da kannst eigentlich nur seine Blicke schulen, also worauf er beim Gegner und Ball achten sollte. Dazu gibt's dann auch wieder verschiedene Übungen.


Gruß Platzierung

[M3rlin]

Er soll sich auf jeden Fall nicht entmutigen lassen, wenn in einem Punktspiel nichts klappt, unter Anspannung verfällt man am Anfang oft fast automatisch in den alten Bewegungsablauf, obwohl es beim Training sooo toll geklappt hat.
Und talent wird überbewertet, das richtige Training macht mehr aus als das talent.

[lowv]

Psychologisch ist es klug so zu tun als ob man eine Technik jedes mal neu erlernt, anstatt dass man seine alten Fehler nur "korrigiert". Den Tipp könntest du ihm mal geben. Ansonsten sollte man es nicht zu kompliziert machen. Das wichtigste beim Lernen eines Schlages sind immer 3 Sachen:
1.) Die Beinstellung zu Anfang
2.) Die Schlägerhaltung zu Anfang
3.) Die Endposition des Schlägers
Das solltest du ihm unbedingt eintrichtern! Wenn er von Anfang an auf diese 3 Sachen achtet, ergibt sich nach und nach automatisch ein flüssiger Bewegungsablauf zwischen Anfangs- und Endposition. An den Details kann man später noch feilen...

EDIT: Eine ganze heikle Fehlerquelle kann auch in einem zu festen Griff bestehen. Dadurch verkrampfen bei schnellen Bewegungen das Handgelenk und der Unterarm. Ich selbst habe Jahre lang den Fehler in meinem Spiel gehabt. Als ich ihn dann beseitigt hab war es wie eine Offenbarung. Der Schläger sollte nur so fest gehalten werde, dass er sich mühelos aus dem Griff ziehen lässt.