Vorbereitungen in Asien auf WM 2010

[Vladitimo]

Zitat von henrypijames

Liu Guoliang stellte gestern gegenueber der Presse nochmals klar, dass die Beratung des Trainerstabs ueber die restliche Nominierungen erst Mitte Mai *beginnt*.

Und er wird das letzte Wort haben
Insofern kann der Trainerstab natürlich von seinen Eindrücken berichten und seine Meinung äußern, aber Liu entscheidet.

[henrypijames]

Zitat von Georg92

Und er wird das letzte Wort haben

Nein. Das letzte Wort - d. h. die offizielle Entscheidungskompetenz - liegt nicht einmal bei der Nationalmannschaft, sondern bei der Nationalen Sportverwaltungsamt (genau gesagt, deren Abteilung fuer Tischtennis und Badminton). Auch in hierzulande wird beispielsweise die Nominierung bei der Olympischen Spielen (wie es bei den WM ist, bin ich mir nicht sicher) nicht vom DTTB, sondern vom DOSB gemacht.

Aber auch de facto hat Liu Guoliang nicht das letzte Wort: Er kann seine Entscheidung unmoeglich gegen die Meinung von Cai Zhenhua durchboxen. Es gibt noch weitere Schwergewichte im chinesischen TT wie Xu Yinsheng, die auch so etwas wie ein Vetorecht haben - wovon sie allerdings nie Gebrauch machen (muessen), weil sie ohnehin vornherein konsultiert werden.

Je enger es wird, desto umfangreicher und intensiver will die Nationalmannschaft von sich aus "externe" Experten in das Entscheidungsprozess miteinbeziehen - um am Ende die moeglichst konsensuelle Wahl zu treffen. Ueberhaupt ist Konsens-Politik ganz gross geschrieben durch die gesamte chinesische Geschichte - auch jetzt, wo das Zentrale Politbuero alle Entscheidungen des Staates trifft, waehrend der Praesident und der Premierminister keinen Alleingang machen kann. Das ist wohl auch ein kultureller Unterschied zum Westen.

[Ricardo Schimassek]

@henry hat schon einmal gesagt, dass Liu nicht alleine entscheidet, und auch nicht das letzte Wort hat, sondern dass die Entscheidung von vielen Leuten und auch vom Druck der Öffentlichkeit abhängt so wie ich das verstanden habe...

[henrypijames]

Zitat von Ricardo Schimassek

@henry hat schon einmal gesagt, dass Liu nicht alleine entscheidet, und auch nicht das letzte Wort hat, sondern dass die Entscheidung von vielen Leuten und auch vom Druck der Öffentlichkeit abhängt so wie ich das verstanden habe...

"Druck der Oeffentlichkeit" spielt keine so grosse Rolle. Erstens findet sich in der Oeffentlichkeit meist sowieso kein richtiger Konsens, zweitens sind die Kandidaten natuerlich jedes Mal allesamt hochqualifiziert, sodass niemand wirklich unverdient nominiert wird. Die TT-Nationalmannschaft kuemmert sich zwar sehr um sein Image (welches seit jeher das mit Abstand beste ist im gesamten chinesischen Sport), aber den maximalen sportlichen Erfolge zu garantieren ist immer wichtiger als die populaerste Entscheidung zu treffen. Fuer Sydney 2000 bekamen Ma Lin (WM-Finalist 1999) und Wang Liqin (WRL-Erster damals) beide keine Einzelnominierung, fuer Athen 2004 musste sogar der Titelverteidiger Kong Linghui aussen vor bleiben. All das waren nicht populaer, aber dennoch von der Oeffentlichkeit mit viel Verstaendnis akzeptiert worden.

[Tackiness]

Zitat von henrypijames

Ueberhaupt ist Konsens-Politik ganz gross geschrieben durch die gesamte chinesische Geschichte - auch jetzt, wo das Zentrale Politbuero alle Entscheidungen des Staates trifft, waehrend der Praesident und der Premierminister keinen Alleingang machen kann. Das ist wohl auch ein kultureller Unterschied zum Westen.

Was vielleicht daran liegt, dass Politbüro und andere Oligarchien keinerlei demokratische Legitimität besitzen und ganz auf den internen "Konsens" angewiesen sind, um sich an der Macht zu halten. Aber vielleicht sollten wir hier doch nicht über Politik reden...

Lustig finde ich, dass so ein Trara um eine Entscheidung gemacht wird, die letztlich total unerheblich ist (im Sinne des nationalen Interesses, nicht der einzelnen Spieler). China wird Mannschaftsweltmeister, egal mit welchem Wang und Ma, das ist doch jedem klar. Jetzt noch wochenlang alle "Experten" und "Schwergewichte" zu konsultieren und jeden Trainings-Topspin zu analysieren, ist wohl vor allem Inszenierung und Medientheater.

[henrypijames]

Zitat von Tackiness

Lustig finde ich, dass so ein Trara um eine Entscheidung gemacht wird, die letztlich total unerheblich ist (im Sinne des nationalen Interesses, nicht der einzelnen Spieler). China wird Mannschaftsweltmeister, egal mit welchem Wang und Ma, das ist doch jedem klar.

Nein, es ist ganz und gar nicht "jedem klar". Weder die Spieler und Trainer, noch ich persoenlich glaube, dass China mit absoluter Sicherheit die Titel verteidigen wird. Und ob die Wahrscheinlichkeit dann bei 85%, 95% oder 99% liegt, ist fuer die Betroffenen schon ein Riessen-Unterschied.

Ausserdem ist "nationale Interesse" nicht das einzige, was auf dem Spiel steht - es gibt auch die interne Sportpolitik und die Konkurrenz zwischen den Provinzen, wo es nicht nur um Ruhm und Stolz, sondern auch monetaere Interessen (Foerdergelder u. a.) geht.

Zitat von Tackiness

Jetzt noch wochenlang alle "Experten" und "Schwergewichte" zu konsultieren und jeden Trainings-Topspin zu analysieren, ist wohl vor allem Inszenierung und Medientheater.

Wie kann es denn "Inszenierung und Medientheater" sein, wenn die Oeffentlichkeit doch so gut wie gar nicht weiss, wie die Entscheidung hinter den Kulissen getroffen wird? Was ich zuvor geschildert habe, ist keineswegs der Allgemeinheit bekannt.

[Tackiness]

Zitat von henrypijames

Weder die Spieler und Trainer, noch ich persoenlich glaube, dass China mit absoluter Sicherheit die Titel verteidigen wird. Und ob die Wahrscheinlichkeit dann bei 85%, 95% oder 99% liegt, ist fuer die Betroffenen schon ein Riessen-Unterschied.

Aber ob nun Olympiasieger A oder Olympiasieger B nominiert wird, verändert die Wahrscheinlichkeit doch nicht von 85% auf 99%! Und wieviel mehr wird dann von Tagesform, Bedingungen vor Ort, Aufstellung der Gegner etc. abhängen, vielleicht sogar schlicht und einfach von GLÜCK - auch wenn das die Trainer und Funktionäre nicht zugeben wollen, weil sie meinen, alles kontrollieren zu können. Was soll man jetzt noch 4 Wochen lang Trainingsleistungen zerpflücken, um die Wahrscheinlichkeit von 98.75% auf 98.93% zu erhöhen...

Wie kann es denn "Inszenierung und Medientheater" sein, wenn die Oeffentlichkeit doch so gut wie gar nicht weiss, wie die Entscheidung hinter den Kulissen getroffen wird? Was ich zuvor geschildert habe, ist keineswegs der Allgemeinheit bekannt.

Das Medientheater besteht in dem Aufrechterhalten von Spannung, der Geheimniskrämerei, dem Schüren von Spekulation - jeden Tag gibt es zig neue Berichte über die Chancen des einen und anderen, Interviews mit Spielern und Trainern usw. Ist ja auch schön, wenn Tischtennis von sich reden macht, statt während des Trainingslagers ganz aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit zu verschwinden (und "im Westen" läuft es bei den großen Sportarten wie Fußball ja ganz ähnlich).

[henrypijames]

Ueberhaupt ist es so, dass je dominanter eine Nation in einer Sportart ist, je populaerer sie ist, umso ernster man den internen Wettbewerb nimmt und sich entsprechend mehr Aufwand leistet. Canada, die dominante Macht in Curling, veranstaltet vor jeder WM und Olympischen Spielen ein Auswahlturnier, das Wochen dauert - mit Qualifikations- und Hauptrunden -, um aus mehreren dutzenden Teams eins auszuwaehlen, das letztlich die Nation vertreten darf. Die sagen auch nicht: "Was soll das, unser zehnt-bestes Team kann immer noch den Titel holen."

Grundsaetzlich wird im Sport das Fairheitsprinzip ganz hoch gehalten. Nur weil viele im Westen schwer haben, die chinesische Art von Fairheits-Empfindung nachzuvollziehen, heiss es nicht, dass es fuer die Chinesen unwichtig ist. Eine leichtsinnige Entscheidung waere offensichtlich unfair fuer alle Beteiligten.

[henrypijames]

Zitat von Tackiness

Aber ob nun Olympiasieger A oder Olympiasieger B nominiert wird, verändert die Wahrscheinlichkeit doch nicht von 85% auf 99%! Und wieviel mehr wird dann von Tagesform, Bedingungen vor Ort, Aufstellung der Gegner etc. abhängen, vielleicht sogar schlicht und einfach von GLÜCK - auch wenn das die Trainer und Funktionäre nicht zugeben wollen, weil sie meinen, alles kontrollieren zu können. Was soll man jetzt noch 4 Wochen lang Trainingsleistungen zerpflücken, um die Wahrscheinlichkeit von 98.75% auf 98.93% zu erhöhen...

Das magst du so sehen, ich aber nicht - und ich versichere dir, die Trainer und Experten in China auch nicht.

98% ist absurd - 85% ist viel realistischer: Das entspricht etwa 100% bis zum Viertelfinale, 95% im Halbfinale und 90% im Finale (1,00 * 0,95 * 0,90 = 0,855), was meines Erachtens schon recht optimistisch ist. Eine etwaige Erhoehung der Wahrscheinlichkeit von 84% auf 86% waere da fuer die Entscheidungstraeger ein grosser Unterschied.

[henrypijames]

Zitat von Tackiness

Das Medientheater besteht in dem Aufrechterhalten von Spannung, der Geheimniskrämerei, dem Schüren von Spekulation - jeden Tag gibt es zig neue Berichte über die Chancen des einen und anderen, Interviews mit Spielern und Trainern usw. Ist ja auch schön, wenn Tischtennis von sich reden macht, statt während des Trainingslagers ganz aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit zu verschwinden (und "im Westen" läuft es bei den großen Sportarten wie Fußball ja ganz ähnlich).

Der Nominierungsprozess fuer die TT-WM war in China aber auch schon vor 50 Jahren so kompliziert wie jetzt - wenn nicht mehr. Damals gab es natuerlich keine "taegliche Berichte, Spekulationen und Interviews" - vielleicht einen oder zwei Presseberichte im ganzen Land ueber die gesamte WM-Vorbereitungsphase hindurch. Es existierte nicht einmal eine Medien-Landschaft, geschweige denn Medien-Theater.