Stuttgart 21

[Carstens_Brüderchen]

Zitat von Wohlfühlbacher

Was hat das mit dem Stuttgarter Bahnhof und seiner Protestbewegung zu tun?...

Ist die Frage ernst gemeint?

Falls ja, erklär' ich es Dir gerne - es ging mir um 'Volkes Stimme', die in diesem Fall auch immer wieder von den Gegnern des Bahnhofsprojektes (und in vielen anderen Fällen) in die Waagschale geworfen wird. Das ist demokratische Makulatur, weil eine Demokratie, die konsequent diese Prinzipien bei der Entschlussfindung anwenden würde, ganz schnell zu einem radikalen Staat verkommen würde. "Radikal" wäre dann auch nicht zwingend "linksradikal"...

[Abwehrtitan]

Zitat von Carstens_Brüderchen

Ist die Frage ernst gemeint?

Falls ja, erklär' ich es Dir gerne - es ging mir um 'Volkes Stimme', die in diesem Fall auch immer wieder von den Gegnern des Bahnhofsprojektes (und in vielen anderen Fällen) in die Waagschale geworfen wird. Das ist demokratische Makulatur, weil eine Demokratie, die konsequent diese Prinzipien bei der Entschlussfindung anwenden würde, ganz schnell zu einem radikalen Staat verkommen würde. "Radikal" wäre dann auch nicht zwingend "linksradikal"...

Demokratische Makulatur ?

Da brauchen wir aber nicht Volkes Entscheid zu, Großer, nein gewiß nicht ... das sind ganz andere Kaliber am Werk, die Demokratie verhindern .... meinetwegen, wenns denn zum Besten aller ist - grübel - aber dann sollte man das Kindchen auch beim Namen nennen ... Demokratur !

[Carstens_Brüderchen]

Zitat von Abwehrtitan

Demokra(tische Makula)tur ?
... Demokratur !

Sag' ich doch...

Aber ernsthaft: Ich habe nicht so recht das Gefühl, dass ein Jeder, der das Wort "Demokratie" in den Mund nimmt, auch weiß, was für eine Demokratie wir in Deutschland haben und wie diese im Zusammenspiel mit rechtsstaatlichen Prinzipien zusammenwirkt (wenn es denn ein funktionierendes Zusammenspiel ist).

Dabei wird gerne vergessen, dass eine bürgerliche Mehrheit innerhalb einer Demokratie, deren rechtsstaatliche Verbindlichkeit auf wackeligen Füßen steht (obwohl über demokratische Wahl der Vertreter und der resultierenden Gesetze ein entsprechendes Gefüge im Bürgerwillen geschaffen wurde), die betreffende Demokratie auch schnell missbrauchen kann. In so einer 'Demokratie' kann durch Mehrheiten zu Krieg aufgerufen werden oder zu Rassenhass. Vergewaltigung könnte plötzlich auf der 'demokratisch beschlossenen' Tagesordnung stehen. Die Prügelstrafe für Kinder könnte durch entsprechende Mehrheiten zugelassen werden ...

Eine hässliche Fratze, die so eine 'Demokratie des Volkes' entwickeln könnte, wenn sich nur genügend Stimmen finden. Nichts Anderes als eine grauenhafte Diktatur. Das meine ich auch mit der 'demokratischen Makulatur', wenn unreflektiert und kategorisch von "Mehrheiten" gesprochen wird, die dann als ultima ratio im Raume stehen sollen und jegliches Dagegensein erschlagend legitimieren.

Dafür gibt es in diesem Staat eine Verfassung, Gesetze, Gewaltenteilung und viele andere Sicherungsmechanismen, die beispielsweise Volksverhetzung oder Aufruf zum Krieg verhindern sollen. Ich sage nicht, dass diese Sicherungsmechanismen in unserem Staat durchgehend gut funktionieren, aber diese Mechanismen 'mal eben' auszuhebeln, indem man mit dem Argument des Mehrheitsentscheids aufwartet, halte ich für fahrlässig. Weil den o.g. Kehrseiten der Medaille damit ein fruchtbarer Acker bestellt wird.

[Abwehrtitan]

Mir alles bewußt Olaf, ich wollte nur, daß der "andere" Blickwinkel auf die Demokratie nicht übersehen wird.

Zweischneidige Klinge das .....

[Obachecka]

Zitat von Carstens_Brüderchen

Dafür gibt es in diesem Staat eine Verfassung, Gesetze, Gewaltenteilung und viele andere Sicherungsmechanismen, die beispielsweise Volksverhetzung oder Aufruf zum Krieg verhindern sollen. Ich sage nicht, dass diese Sicherungsmechanismen in unserem Staat durchgehend gut funktionieren, aber diese Mechanismen 'mal eben' auszuhebeln, indem man mit dem Argument des Mehrheitsentscheids aufwartet, halte ich für fahrlässig. Weil den o.g. Kehrseiten der Medaille damit ein fruchtbarer Acker bestellt wird.

Wer sagt denn, dass ein Zulassen von mehr direkter Demokratie (Plebiszite auf Bundesebene bspw.) bedeuten würde, dass man das Grundgesetz samt Menschenrechten aushebelt? Die verfassungsrechtlichen Grundrechte sind ohnehin - also auch in solch einer Form - unantastbar. Solche Horrorszenarien halte ich daher für reichlich übertrieben.

Feststehenden, mit keiner noch so großen Mehrheit änderbaren Regeln muss sich (genau wie unsere jetzige Demokratie) dann natürlich auch eine "direktere" Demokratie unterwerfen. Das müsste festgelegt werden, klar. Dazu gehört bspw. auch, dass ein Verfassungsgericht verfassungs- und insbesondere grundrechtswidrige Beschlüsse kippen kann und muss.

Ganz abgesehen davon, dass man bei einer Realisierung solcher direktdemokratischer Elemente so oder so meines Erachtens einen Negativkatalog bräuchte, der bestimmte Themenbereiche als nicht abstimmbar festlegt.

[Peter Igel]

Zitat von Obachecka

Ganz abgesehen davon, dass man bei einer Realisierung solcher direktdemokratischer Elemente so oder so meines Erachtens einen Negativkatalog bräuchte, der bestimmte Themenbereiche als nicht abstimmbar festlegt.

Beispielsweise kein "Widerstandsrecht gegen Bahnhöfe".

Demnächst demonstriert noch einer gegen den Bau einer Bushaltestelle.

Wehret den Anfängen!

[Carstens_Brüderchen]

Zitat von Obachecka

...Plebiszite auf Bundesebene bspw...

Genau da besteht bereits die von mir genannte Gefahr. Völkerrechtlich bedenkliche Plebiszite würden sicher zunächst vom Verfassungsgericht abgeschmettert. Dann ist da aber 'das Volk', das sich fragt, warum die Mehrheitsentscheidung nicht durchgeht. Das Gesetz ist da, der Sicherungsmechanismus auch, aber das Verständnis für Gesetz und Sicherungsmechanismus leidet bei der betreffenden Mehrheit. Was dann?

Glaubst Du, diese Mehrheit setzt sich gemeinschaftlich hin und sagt "Okay, dann eben nicht. Wir sind zwar die Mehrheit, und wir haben so entschieden, aber da gibt es noch eine höhere Instanz. Gut."...?

Wenn ich mir die bereits jetzt vorhandene Auflehnungsmanie im deutschen Volk ansehe, dann will ich nicht wissen, was los ist, sobald das Verfassungsgericht einen Volksentscheid mit 70% Mehrheit kippt...

[Obachecka]

Zitat von Carstens_Brüderchen

Was dann?
Glaubst Du, diese Mehrheit setzt sich gemeinschaftlich hin und sagt "Okay, dann eben nicht. Wir sind zwar die Mehrheit, und wir haben so entschieden, aber da gibt es noch eine höhere Instanz. Gut."...?

Kann ich schon verstehen, eine gewisse Gefahr gibt es.
Da gibt's meines Erachtens aber auch Möglichkeiten:

Man könnte beispielsweise Volksentscheide einem "Genehmigungsverfahren" unterziehen, welches vor Zulassung und Ausrichtung des Plebiszits kontrolliert, ob beide möglichen Antworten verfassungsrechtlich ungefährlich sind. Dies wird dann mit einem Negativkatalog kombiniert - über Steuern beispielsweise müsste das Parlament entscheiden.

Dass sich auch (schweigende) Mehrheiten übergeordneten Regeln unterordnen müssen, ist meines Erachtens nicht so sehr das Problem.

Vielleicht bin ich da ja zu gutgläubig, aber ich glaube nicht, dass eine "direktere" Demokratie (nicht: direkte Demokratie!) solche extremen Gefahren birgt. Die Grundrechte gelten uneingeschränkt, ihnen müssen sich auch nunmal auch Mehrheiten unterordnen. Diese Passagen sind unveränderlich und müssen akzeptiert werden. Wenn es DAGEGEN Aufstände geben sollte, dann hat der Staat doch wohl das gute Recht, dagegen vorzugehen.
Ist ja nicht so, dass mit der Aufnahme direktdemokratischer Elemente die Gewaltenteilung verschwindet!

Zitat von Carstens_Brüderchen

Wenn ich mir die bereits jetzt vorhandene Auflehnungsmanie im deutschen Volk ansehe, dann will ich nicht wissen, was los ist, sobald das Verfassungsgericht einen Volksentscheid mit 70% Mehrheit kippt...

Hierauf (auf das Fallbeispiel) bin ich zwar oben schon eingegangen, aber:
Auflehnungsmanie?
Gut, Stuttgart mag 'ne Ausnahme sein, aber ansonsten wird zwar viel gejammert in Deutschland, aber eigentlich ist das deutsche Volk was "Widerstand" angeht doch recht sanft.

[Chris_tt]

Zitat von Obachecka

... Diese Passagen sind unveränderlich und müssen akzeptiert werden...

klugscheißermodus *an*

Verständnisfrage: Welche Passagen sind denn unveränderlich???

zur näheren Lektüre empfehle ich Art. 79 Abs. 3 Grundgesetz

[powerpaul]

Oh je, da lässt man einmal eine Bemerkung über die Bild ab und es entwickelt sich prompt eine Diskussion über Demokratie...

Ich wollte lediglich aufzeigen, welche Vor- und Nachteile der "Tiefenbahnhof" mit sich bringt (für die Allgemeinheit), für die Institutionen Bahn, Stadt, Bauunternehmen, welche unmittelbar beteiligt sind, ist die Röhrenstation natürlich ein gutes Geschäft.
Meine persönliche Meinung ist etwas gespalten: "Brauchen" tut Stuttgart den Bahnhof nicht notwendigerweise, aber die Obrigkeiten wollen ihn ja unbedingt, also wird er auch gebaut!
Die Proteste allerdings richten sich weniger gegen die neue Strecke Stuttgart-Wendlingen-Ulm (welche verkehrstechnisch sinnvoll ist), sondern gegen den Tiefenbahnhof und den Abruch eines Stuttgarter Wahrzeichens. Die explodieren Kosten und die Beithemen "Schlosspark, Grundwasser, Mineralquellen" tun ihr übriges.