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Stammtisch Hier könnt Ihr über "Gott und die Welt", Politik, Fernsehen, Bücher, Musik und alles was Euch sonst interessiert diskutieren. Plaudern in lockerer Atmosphäre ;-) |
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Themen-Optionen |
#71
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AW: Das literarische Duett
Schiller - Don Karlos (zum 2. Mal) - Bin Schiller/Goethe Fan
sowie Stephen King - "ES" und Frank Schätzing - Tod und Teufel Ich lese eigentlich immer mehrere Bücher auf einmal, da wirds nie langweilig Zudem ist Don Karlos ja weniger Unterhaltungslektüre und deswegen ist ein Ausgleich nicht schlecht. Grüße Dennis
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Habe nun, ach! Philosophie, Juristerei und Medizin, Und leider auch Theologie! Durchaus studiert, mit heißem Bemühn. Da steh ich nun, ich armer Tor! Und bin so klug als wie zuvor; |
#72
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Zitat:
Fange nun also gleich mit Joseph Roths Radetzkymarsch aus dem Jahre 1932 an: das darin geschilderte Schicksal der Familie von Trotta soll in diesem Hauptwerk des renommierten österreichischen Autors - nach einhelliger Kritikermeinung - mit einer Symbolkraft ohnegleichen den Niedergang der k.u.k. Donaumonarchie vor dem ersten Weltkrieg beleuchten... Irgendwann die nächsten Tage dann ´Vita Violenta´von Pier Paolo Pasolini. Ein Buch, in dem im Grunde die Metropole Roma eine Hauptrolle spielt: Geschildert wird dort, laut Begleitwort, " Die Welt der streunenden Ragazzi, der Verlegenheits- und Berufskriminellen, Dirnen, Strichjungen, entwurzelten Bauern...nicht aus der Vogelperspektive des sozialen Mitleids, sondern aus der des Eingeweihten und Verbrüderten..." Wohl bekommt's, amici ´ Geändert von Rieslingrübe (22.07.2007 um 13:53 Uhr) |
#73
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AW: Das literarische Duett
"Sheila" von Torey L. Hayden
Die Autorin befasst sich im "wirklichen" Leben mit der Erziehung von Kindern, die seelisch schwer geschädigt sind. Man kann auch sagen, sie kämpft um die Zukunft dieser Kinder. Man begleitet sie beim Lesen geradezu auf diesem Weg und kämpft und hofft mit ihr gemeinsam. Sehr ergreifend, dabei aber überhaupt nicht bedrückend. "Endstation Freiheit", Autobiographie von Rolf Zacher Der Mann hat gelebt und hat deshalb auch wirklich was zu sagen. Sehr facettenreiches Leben. Den "Vollidioten" darf man wirklich kaum nicht in Gesellschaft lesen. Man schmeißt sich teilweise ohne Vorwarnung wech und MUSS eine Lesepause einlegen... Ich konnte einfach nicht mehr vor Lachen... Kennt jemand sein neues Buch und kann davon berichten? |
#74
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Letzte Worte
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Zur Weihnachtszeit zwei themenverwandte Werke - besinnliche Erinnerung an längst vergangene Zeiten: 1.) ´Todesstrafen - Ihre Wirklichkeit in drei Jahrtausenden´, von Kurt Rossa Aus dem Vorwort der Erstausgabe (1966): Wer von der Todesstrafe spricht - er sei dafür oder dagegen -, sollte wissen, wovon er redet. "Köpfen oder Aufhängen!" rief der Abgeordnete Piechl vor dem Bayrischen Landtag aus. Die Gesundheit dieser pausbäckigen Alternative weist ihn als mangelhaft unterrichtet aus. Er kann nicht gewußt haben, was das ist, das Köpfen und das Aufhängen. Und wissen das die weniger Gesunden? Die Nachdenklichen, die vor dem Goldgrund von Willensfreiheit, Schuld und Sühne, Menschenwürde und Gerechtigkeitsidee das Für und Wider leidenschaftlich, doch hygienisch diskutieren? - Erst da, wo die Hygiene aufhört, beginnt die Wirklichkeit. Diese Buch ist das Ergebnis eines Informationsversuchs. Man wappne sich. Der Schauplatz der Todesstrafen ist besudelt. Manches muß Abscheu und Entsetzen erregen. Wer vieles von uns Christen wissen will, lese die Bergpredigt; wer mehr von uns wissen will, eine Geschichte der Todesstrafen... 2.) ´Der Scharfrichter´ - Das Tagebuch des Charles Henri Sanson aus der Zeit des Schreckens 1793/94 . Die Aufzeichnungen des ehemaligen Henkers von Paris: Sanson und seine Mannen waren während der blutigen Revolutionsjahre tagtäglich im Einsatz, führten tausende und abertausende von Verurteilten auf die Guillotine: Arme und Reiche - vom Bürgertum bis zum Hochadel, Politiker, Revolutionäre, Verbrecher, Landesverräter, Unschuldige aller Couleur... Gegen Ende des Tagebuchs wird sehr deutlich, daß der Überdruß und psychische Druck immer mehr zunehmen und Sanson schließlich veranlassen, sein Amt noch vor dem Sturz Robespierres aufzugeben. - Er war somit der letzte Sproß aus dieser traditionsreichen Scharfrichterdynastie. Ein kleiner Auszug: 5.12.1793: Heute ist ein weiterer Volksvertreter guillotiniert worden: Kersaint, ein ehemaliger Marineoffizier. Er starb ebenso tapfer, wie er gelebt hatte...Mit ihm wurde Jean Baptiste Guérin hingerichtet, ein Priester, der den Eid verweigert hatte. 25.12.1793 Heute waren es fünf Verurteilte...sie waren sehr niedergeschlagen bis auf Bourg, der den anderen Mut zusprach. Es ist merkwürdig, daß es denen, deren Leben nur aus Mühen und Strapazen besteht, oft schwerer fällt zu sterben als anderen, die soviel zu verlieren haben... 29.12.1793 Diétricht, der ehemalige Bürgermeister von Straßburg, hat heute den Tod erlitten. Als ich ihm die Hände band, sagte er: "Du hast schon viele gute Republikaner guillotiniert, aber keinen, der dem Vaterland treuer ergeben gewesen wäre als ich." Er zeigte viel Mut, auf dem Schafott rief er: ´Viva la République´ und verlas gemäß seinem letzten Wunsch ein kurzes Gedicht mit dem Titel ´Das Testament der Republik´ Je lègue à Fournier mon génie La planche aux assignats à tous mes créanciers; Au bourreau ma philanthropie Mes exploits aux aventuries; Aux Francais l'horreur de mes crimes; Mon régime à tous les brigands; La France à ses rois légitimes, Et le remords à mes enfants. 31.12.1793 Wieder ist ein General unserer Armee auf der Guillotine gestorben. Biron, der ehemalige Oberbefehlshaber der Italienarmee: er wurde ob seiner Milde und Nachsicht gegenüber Gefangenen von Carrier denunziert und gestern verurteilt. Heute morgen haben wir ihn in der Conciergerie abgeholt. Er war im Zimmer von Richard und aß mit großem Appetit Austern; als er mich sah, rief er: " Aha!" Dann sagte er: "Sie erlauben mir hoffentlich, daß ich erst noch mein letztes Dutzend Austern esse". Ich antwortete, ich stünde zu seiner Verfügung; darüber mußte er lachen und fügte hinzu: "Nein, zum Teufel! Bedauerlicherweise stehe ich zu Ihrer Verfügung." Er aß erstaunlich ruhig zu Ende und machte Scherze darüber, daß er im Jenseits rechtzeitig ankommen würde, um seinen alten Bekannten ein gutes neues Jahr zu wünschen. Diese Kaltblütigkeit bewahrte er sich bis zum Ende. Die Menge hat ihn weder angegriffen noch beschimpft. Seit der Hinrichtung von Madame Dubarry legten die Bürger weniger Haß gegen die Verurteilten an den Tag... 5. 4. 1794 ...wir erkannten die Stimme des Bürgers Danton und alle verstummten, um ihn besser hören zu können: "Steckt euch euer Urteil in den Arsch, ich will es nicht hören; über uns Revolutionäre wird die Nachwelt urteilen, sie wird meinen Namen ins Panthéon setzen und den euren durch den Dreck ziehen...". Als der Wagen zum Richtplatz sich in Bewegung setzte, rief er: "Die blöden Arschlöcher, sie werden brüllen: ´Viva Le République!´, wenn wir vorbeikommen! In zwei Stunden hat die Republik keinen Kopf mehr..." "Robespiere", schrie er, "es nütz dir nichts, daß du dich versteckst, du kommst auch an die Reihe, und Dantons Schatten wird in seinem Grab ein Freudengeheul ausstossen, wenn du hier an meiner Stelle stehst..." Bis zur Guillotine machte Danton so weiter: Seine Stimme wechselte von heftigstem Zorn unvermittelt zu ruhiger Gelassenheit; er war bald brutal, dann wieder spöttisch und wirkte immer so entschlossen, daß einer, der nur ihn angeschaut hätte, den traurigen Karren für einen Triumphwagen hätte halten können. Als wir in den Platz einbogen, sah er das Schafott; er wurde für einen kurzen Augenblick bleich und murmelte: "Meine geliebte Frau, ich werde dich nicht wiedersehen; mein Kind, ich werde dich also nie zu Gesicht bekommen..", gewann seine Fassung aber gleich darauf zurück, sah mir in die Augen und sprach mit fester Stimme: "Tu deine Arbeit, Bürger Sanson!" Die Gehilfen ergriffen zuerst seinen Freund Hérauld; Danton trat auf ihn zu und wollte ihn zum Abschied küssen, wurde aber zurück gehalten. Darauf sagte er: "Ihr Idioten! - Wie wollt ihr verhindern, daß sich unsere Köpfe gleich im Korb küssen...?" Es schien, als trotze er nicht nur der Todesangst, sondern dem Tod selbst. Seine letzten Worte, an mich gerichtet: "Vergiß nur nicht, meinen Kopf dem Volk zu zeigen, solche Köpfe bekommt es nicht alle Tage zu sehen." ´ Geändert von Rieslingrübe (22.12.2007 um 13:14 Uhr) |
#75
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Döblins Berlin
Das Duett mal ein wenig anders: Der Roman und seine Verfilmung.
Um den Rahmen etwas einzugrenzen: Die literarische Vorlage und der TV-Mehrteiler. Aktuell also Tolstojs Krieg und Frieden. In meinen Augen etwas langatmig-melodramatisch inszeniert, aber soweit ganz okay. Irgendwie weckt das Epos bei mir Kindheitserinnerungen an die beliebten ZDF-Adventsvierteiler Anfang/Mitte der Siebziger Jahre, wie zum Beispiel Der Kurier des Zaren nach Jules Verne und die Jack London-Verfilmung Der Seewolf (beide mit Raimund Harmstorf in der Hauptrolle). Ich möchte diesen Rahmen hier jedoch nutzen, um auf eine andere, ambitioniertere und größere Liaison der Film- und Literaturgeschichte hinzuweisen: Auf Alfred Döblins Roman Berlin Alexanderplatz - und seine kongeniale Leinwandadaption durch die Regie-Legende Rainer Werner Fassbinder im Jahre 1979/80. Zunächst zu Buch und Autor: Klar ist der Name Döblin vielen ein Begriff. Doch leider wurde dieser im Nachkriegsdeutschland vielerorts bis heute nicht in seiner vollen Größe erkannt. Dabei genießen gerade die Werke seiner mittleren Schaffensperiode u. insbesondere der 1929 erschienene Großstadtroman ´Berlin Alexanderplatz´, den Döblin - im Hauptberuf Armenarzt im Arbeiterviertel, ähnlich wie einstTschechow und Schnitzler - teilweise beim Nachtdienst auf der Unfallstation oder in den Wartestunden zwischen Krankenbesuchen auf den Treppenabsätzen schrieb, eine Ausnahmestellung in der deutschsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts. Das Buch wird in seiner Bedeutung von einigen renommierten Kritikern nicht von ungefähr gar noch höher eingestuft als die besten Leistungen eines Joseph Roth, Arthur Schnitzler, Hofmannsthal, Werfel, Jahnn, Kafka, Canetti oder Thomas Mann: Walter Muschg in seinem denkwürdigen Essay 'Die Zerstörung der Deutschen Literatur' : "...Döblins gauklerische Freude am Bizarren war ebenso ausgesprochen wie sein Hang zum Visionären, weshalb ihn nicht nur die Expressionisten, sondern auch die Surrealisten zu ihren Stammvätern zählen. Da er aber die Kunst überhaupt nicht als autonomen Wert gelten ließ, stand er bald allein. Das Wort war ihm nur das Mittel, mit dem er das Unfaßbare des Seins, die ungeheuerliche Tatsache des Lebens zu fassen suchte....Er trat als Erzähler von unbändiger Kraft hervor, wie Deutschland seit langem keinen besessen hatte... Trotz der Sturzbäche von Realität ist man weit von der strahlenden Weltlichkeit Homers und Tolstojs oder gar der naiven Vitalität Knut Hamsuns entfernt. Dies alles ist ein Werk der Entrückung, die Weltschöpfung einer demiurgischen Phantasie; die ausschweifende Häufung der Bilder, der jähe Wechsel der Stimmungen...seine Respektlosigkeit gegenüber aller Tradition war weniger in seiner Herkunft denn in der Art seines Schaffens begründet, im Selbstbewußtsein des Magiers, der Welten erschafft und versinken lässt. Er kannte seine Fähigkeiten und forderte die Anhänger der Überlieferung heraus, die nur Bekanntes wiederholten...für diese Maßvollen und Kultivierten war er unerträglich. Bei ihm kam auch das Diabolische, Brutale, Häßliche nicht zu kurz - seine ganze Schriftstellerei war eine Kriegserklärung an die salonfähige Literatur...." Hinter solchen Lobeshymnen muss natürlich jede noch so gelungene Verfilmung zurück stehen. Gleichwohl dürfte die fünfzehneinhalbstündige Fassbinder-Adaption (seinerzeit 14 Folgen) bis in alle Ewigkeit als die definitive Version in die Filmgeschichte eingehen. Eindringlich und facettenreich wird hier der Überlebenskampf des Exsträflings Franz Bieberkopf in der brodelnden Millionenmetropole Berlin zur Weimarer Zeit geschildert. Hin und her gehetzt zwischen diversen Gelegenheitsjobs, echten und falschen Freunden, Liebschaften, Affären und Schicksalschlägen vor dem Hintergrund des aufziehenden Faschismus. In der Hauptrolle brilliert Charakterdarsteller Günter Lamprecht, doch auch die Nebenrollen sind mit Barbara Sukowa, Gottfried John, Brigitte Mira, Adrian Hoven, Udo Kier, Rolf Zacher, Barbara Valentin, Günther Kaufmann und vielen anderen glänzend besetzt. Auf sechs DVD's ist das Epos in der Reihe 'Süddeutsche Zeitung Cinemathek' für schlappe 50 Mücken aktuell beim 2001 Verlag erhältlich. Von der aufwändigen Restaurierung und Übertragung des alten 16mm Originals auf ein neues 35mm Negativ zeigte sich übrigens auch Kameramann Xaver Schwarzenberger bei der Wiederaufführung vor knapp zwei Jahren schwer beeindruckt. Noch ein Zitat aus der 'New York Times' - anlässlich der US-Premiere des Streifens im Jahre 1983: "Magnificent! There's never before been anything quite like it." ´ Geändert von Rieslingrübe (13.01.2008 um 19:58 Uhr) |
#76
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Le rasoir national
Zitat:
Mal wieder ausgegraben. In Verbindung mit zwei weiteren Empfehlungen für historisch/politisch/ soziokulturell Interessierte mit einem Faible für die Französischen Revolutionsjahre und die wichtigsten Protagonisten: - 'Twelve Who Ruled' , von R. R. Palmer, aus dem Jahre 1941. Gilt als zeitloser Klassiker - manche Geschichtswissenschaftler sprechen von der bis heute bedeutendsten Veröffentlichung über diese Zeit überhaupt in nichtfranzösischer Sprache. Als Taschenbuch 2005 wieder neu aufgelegt: http://www.amazon.de/s/ref=nb_sb_nos...ed%27+&x=0&y=0 Und für jene, die einschlägige Ausstellungen über die Todesstrafe und Hinrichtungsmethoden im Wandel der Jahrhunderte wie zum Beispiel diese: http://www.guardian.co.uk/world/2010...m-france-paris bisher immer verpasst haben und handwerklich recht geschickt sind... . http://www.worldcat.org/title/build-.../oclc/11564486 ´ Geändert von Rieslingrübe (02.02.2011 um 13:53 Uhr) |
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