Olympia 2024 (26.07. - 11.08.2024, Paris, FRA)

[A.F]

Zitat von Ballbefeuchter

Einfach nur volle Sympathie für die drei in dem Video. Annett Kaufmann, Shan Xiaona und Yuan Wan, sehr authentisch und menschlich. Nach einem verlorenen Spiel um die Bronzemedaille bei den Olympischen Spielen, ist das nur verständlich.

Genau! So sehe ich das auch.

Wenn man dann auch noch Siegchancen im Doppel hatte, wodurch alles hätte anders laufen können, dann kann man das nur verstehen.

Zitat von Quizard

Vom reinen Ergebnis mag das so aussehen. Aber wenn das Doppel gewonnen wird, ist das im Einzel von Annett eine ganz andere Ausgangssituation. Dann hat nämlich die Koreanerin viel mehr Druck und Annett kann etwas befreiter spielen. Wer weiß, wie dann das Einzel ausgeht. Und bei 2:0 ist dann alles möglich.

Tolle Leistung, die niemand für möglich gehalten hätte. Da muss nun auch keiner mit „ich wusste es vorher“ kommen. Niemand hätte es ihnen zugetraut, niemand! Wenn wir vor Olympia eine Umfrage gemacht hätten, ob die deutschen Damen mit Nina Mittelham, Shan Xiaona und Annett Kaufmann ins Halbfinale kommen, die wenigsten hätten daran geglaubt.
Aber wenn dann jemand nach dem Ausfall von Nina Mittelham gesagt hätte, dass Annett Kaufmann, Shan Xiaona und Yuan Wan ins Halbfinale kommen, der wäre als vollkommen ahnungslos betrachtet worden. Selbst wenn man die Auslosung vorher gewusst hätte, Achtelfinale USA und Viertelfinale Indien, hätte trotzdem fast niemand gedacht, dass die Damen bis zum Finaltag dabei sein werden und nach einem Halbfinale gegen Japan im Spiel um Platz 3 gegen Südkorea sogar um die Bronzemedaille kämpfen.

Und wenn man dann nach Spielende einfach nur enttäuscht ist, weil man sich auch im Bronzespiel vorgenommen hat, an einen möglichen Sieg zu glauben und zu kämpfen, dann sage ich nur: Hochachtung vor diesen Mädels! Solche will ich sehen und nicht die glattgebügelten Medienprofis oder den selbst nach Niederlagen gut gelaunten Timo Boll, der wie immer sagt „Ja, gut, die waren heute einfach ein bisschen besser. Das muss man akzeptieren und da kann man dann selbst mit einer Niederlage gut leben, auch wenn wir natürlich gerne gewonnen hätten, aber die anderen können eben ebenfalls spielen.“

[henrypijames]

Zitat von Bezirksligalooser

Naja, es gibt im WTTV einen Spieler, den Bernd Wüstenbecker, der spielt mit der Vorhand einen Ball, der sieht aus wie ein Topspin, und beim Block fällt er runter wie ein Stein, wenn man den nicht kennt.

Fake topspin. Qin Zhijian war ein Meister davon, setzte diesen Schlag regelmaessig und effektiv ein. Heute ist er die rechte Hand von Liu Guoliang und Vizepraesident des Chinesischen TT-Verbands.

[henrypijames]

Zitat von Max

Also Henry, schreib uns doch bitte wie die Chinesen die Trends der Zukunft sehen, welche Spieler sie wie einschätzen, also eher sportlich-analytisches.

In der Tat eine interessante Fragestellung im Bezug auf diese Olympische Spiele. Denn Trends aendern sich, die Sichtweise auf die Trends ebenso, und ein Grossturnier bietet die Gelegenheit fuer eine Neubewertung.

Jahrelang war das Spiel von Fan Zhendong die Verkoerperung des modernen Tischtennis: aktives Kurz-kurz-Spiel, dann harte Eroeffnung mit RH ueber den Tisch, gefolgt von explosiven Topspins aus beiden Seiten mit relativ kurzer Ausholbewegung. Einfach gesagt: den Gegner buchstaeblich zu ueberwaeltigen. Es ist im Grunde genommen eine Weiterentwicklung des Spiels von Wang Liqin - technisch etwas umfangreicher, aber im Essenz genau so monoton und brachial, weil es in taktischer Hinsicht denselben reduktionistischen Ansatz folgt.

Auffaellig ist, dass bei weitem nicht nur die Chinesen an dieses Zukunftsmodell glauben, sondern alle traditionelle TT-Maechte in Ostasien: Japan, Nord- und Suedkorea, Taiwan, Hongkong. In Paris herrschte ein bemerkenswerte Monokultur an Spielstils aus dieser Ecke der Welt, die traditionell eine grosse Vielfalt zu bieten hatten: Einzig Nordkorea stellte eine Noppen-Spielerin hin (obwohl die im Einzel erfolgreichste Nordkoreanerin ebenfalls beidseitige Topspins spielte); Hongkong bot noch einen alten Penholder aus der letzten Generation; Abwehr war komplett verschwunden.

Die Zuversicht auf diesen einzig wahren Entwicklungspfad kam in Paris gewaltig ins Schwanken, dank der Leistungen von Moregard und (in einem geringerem Mass) Felix Lebrun. Truls' Spiel wurde von chinesischen Kommentatoren als "geradezu altmodisch" bezeichnet, weil es so stark an das Spiel von Waldner erinnert, das man seit langem nicht mehr gesehen hat (der vielleicht letzte Vertreter eines variations-basierten Spiels war Schlager). Die Zielstrebigkeit und Entschlossenheit, mit der Truls versuchte, jeden Ball so unterschiedlich wie moeglich vom letzten Ball zu gestalten (insbesondere wenn er im Punktstand zuruecklag), war erstaunlich - und erstaunlich effektiv. Sein Tempowechsel in den Rallies brachte ihm mehr Punkte als seine (nicht ganz so) harten Topspins; seine Chop-Blocks sorgte jedes Mal, sofern sie irgendwie auf den Tisch kamen, fuer erhebliche Verunsicherung des Gegners.

Felix ist nicht einmal ansatzweise so ein bewusster Chaos-Stifter wie Truls - anders als der Schwede zielt das Spiel des jungen Franzosen nicht darauf, das Spiel des Gengers zu zerstoeren. Den Gegner auf dem falschen Fuss zu erwischen (im sowohl buchstaeblichen wie auch uebertragenen Sinne), das versucht er schon - es ist das Hauptziel des klassischen Penholderspiels (wobei Wang Hao eine Ausnahme war). Felix' Variabilitaet ist gross, bleibt aber im technisch orthodoxen Rahmen, anders als Truls mit seinem Limitless-War. Damit waere der Franzose als Nachahmungsmodell verlockend, aber in Wirklichkeit wird es sehr schwierig sein, weil die Grundlage seiner Spielweise in der unglaublichen Schnelligkeit seines taktischen Kalkuels besteht. Seine Schlaege sind rapide, aber es ist nichts im Vergleich zu der Geschwindigkeit seines Denkens. Noch bevor der Gegner den letzten Punkt im Kopf verarbeitet hat, hat Felix schon aufgeschlagen und den naechsten Punkt macht - in einem Ablauf, den er sich innerhalb der fuenf Sekunden zwischen den Punkten ausgedacht hat. Der letzte Spieler, der so schnell denken konnte, war Liu Guoliang - und sein Spiel war technisch weniger variable als das von Felix. Vor Liu gab es noch Wang Tao, aber dessen Spiel war viel improvisiert - wie Waldner und Truls. Schlager plante seine Punkte akribisch, aber er brauchte dafuer fuenfmal so lange wie Felix.

Daher ist Truls - mit ein wenig Hilfe von Felix - der ein Umdenken um das Zukunfsmodells erzwingt. In der Tat koennte man argumentieren, es gibt Anzeichen dafuer, dass die Chinesen diese Lexion noch waehrend der Spielen in Paris aufgenommen und umgesetzt haben. Denn sowohl in den Herren- wie auch den Damen-Halbfinals und Finals gab es Phasen, in denen die Chinesen in langen Rallies nicht die Oberhand gewinnen konnten, weil beispielsweise die Japaner (aber auch die anderen) genau so schnell bzw. noch schneller spielten, und zeitweilig sehr treffsicher waren. Statt noch haerter zu schlagen oder riskante Wechsel in die Parallele zu versuchen - was frueher die Standard-Antwort gewesen waere, waehlten die Chinesen diesmal auffaellig oft, das Tempo rauszunehmen und einen weicheren Topspin zu ziehen. Die Wette, dass man nach einem aktiven Tempowechsel mehr Ballsicherheit hat als der Gegner, ging fuer die Chinesen meistens auf.

Waldner wurde von den Chinesen jahrzehnte lang studiert (so detailliert, dass man ungefaehr voraussagen konnte, was er als naechstes machen wuerde, wenn er sich bueckte und die Socken nochmals hochzog), konnte sie aber bis zuletzt taktisch ueberraschen. Es bleibt abzuwarten, ob die taktische Brillianz von Truls und Felix Lebrun ueber die Jahre den gleichen unerschoepflichen Umfang aufbieten kann. Bei Truls besteht zudem die Sorge, ob er sich emotional verbrennt wie der letzte begabte Hitzkopf aus den Skandinavien, Maze. Fest steht jedenfalls, sie haben jetzt schon durch ihre Leistungen in Paris das Tischtennis ein wenig veraendert - und sehr in Richtung eines wesentlich unterhaltsameres Spiels.

[Matz0r]

Zitat von henrypijames

..

Ich würde dich gerne dafür positiv bewerten, darf ich leider nicht.

Danke für diesen Kommentar! Wahnsinnig viel Wissen, dazu, für mich, ein paar neue Dankanreize.

Dieser Kommentar ist pures Gold!

[Neuanfang]

#7160
@henrypijames, danke dafür, das ist eine wahre Sternstunde der Hochleistungs (Spitzen) Tischtennis-Analyse,
jedes Wort zum Genießen und Dreimallesen + Viermaldarübernachdenken ...

[ultra2]

Zitat von Matz0r

...Danke für diesen Kommentar! Wahnsinnig viel Wissen, dazu, für mich, ein paar neue Dankanreize.

Dieser Kommentar ist pures Gold!

Im Gegensatz dazu steht die Pressearbeit des DTTB:

"Presse-Information des Deutschen Tischtennis-Bundes – 11. August 2024 (1/2)

Olympische Spiele Paris 2024, Tischtennis-Wettbewerbe (27. Juli bis 10. August)

Mit Leidenschaft und Einfühlungsvermögen

Tamara Boros ist die Frau hinter den Erfolgen der deutschen Tischtennis-Damen..."

Also die Frau die zwei der drei Spielerinnen garnicht spielen lassen wollte...

[Hig]

zum Beitrag #7160 von @henrypijames:

Gut zu lesen.

FRAGE: wurde der Text mit KI-Unterstützung verfasst?

[henrypijames]

Zitat von Hig

FRAGE: wurde der Text mit KI-Unterstützung verfasst?

Nein, und auch nicht aus einer anderen Sprache übersetzt. Ich mache auch immer einfache grammatische Fehler, die die KI nie machen würde.

[svrb0815]

Zitat von henrypijames

einfache grammatische Fehler

Stimmt :-), aber um so plausibler liest es sich finde ich. Ich finde Deine Beiträge sehr informativ und möchte Dir für die Mühe und den Aufwand herzlich danken. Hoffentlich bleibst Du dem Forum auch nach Olympia in so aktiver Rolle erhalten.

Das gleiche gilt für alle anderen, die sich hier so stark eingebracht haben - war echt interessant während Olympia hier!

Last but not least gilt das aber auch explizit für den einsamen Rufer (oder lonly wolf), der sich hier auch immer sehr viel Zeit nimmt, um uns seine Sichtweise zu präsentieren. Ich lese das ebenfalls sehr gerne, und wenn es mir mal zu einseitig oder lang wird, dann kann ich es auch gut quer-lesen.

[Wohlfühlbacher]

Fazit nach henrys interessanten Ausführungen:

Waldner is the GOAT!

Danke, henry!